Blueten-Trilogie 03 - Fliedernachte
angefreundet hatte – George, ein angehender Schmied –, war das halbe Gesicht weggerissen worden, und sein Blut besudelte Billys Uniform. Er selbst fühlte sich wie betäubt, stand wahrscheinlich unter Schock. Und er wusste genau, wo er sich befand. Das meine ich wörtlich. Er kannte die Pipers, die ganze Umgebung und den Hohlweg, der die Grenze zur Farm der Roulettes bildete.«
Carolee trat auf ihn zu und hielt ihm einen Becher Kaffee hin.
»Danke.« Er nahm den Becher entgegen, trank aber nicht. »Ich konnte hören, was er dachte. Es war nicht, als würde ich von außen seine Gedanken lesen, sondern eher …«
»Als wärst du er?«, fragte Justine.
»So kam es mir zumindest vor. Als er so dalag, begann er an sie zu denken. An Eliza. Als sie am Abend der geplanten Flucht nicht aus dem Haus konnte, hat sie ihm geschrieben, über seine Mutter, und den Brief irgendwie auf den Weg gebracht. Billy erhielt ihn sogar und schrieb ihr zurück, am Vorabend der Schlacht, doch die Antwort wurde nicht abgeschickt. Er wusste ja nicht, wo sie sich aufhielt. Ob noch in New York oder ob ihr die Flucht gelungen war. Vielleicht wollte er ihn auch an seine Mutter schicken, aber dazu blieb ihm keine Zeit mehr. Wie dem auch sei: Jedenfalls hat er kurz vor seinem Tod an sie geschrieben.«
»Das bedeutet, dass er sie ebenfalls geliebt hat und sie keineswegs bloß eine Episode für ihn war«, stellte Clare mit belegter Stimme fest.
»Er trug ein Bild von ihr bei sich«, fuhr Ryder fort. »Und das hat er hervorgeholt und sich vorgestellt, wie es nach dem Krieg sein würde. Er wollte sie suchen und sie heiraten, ein Haus für sie bauen und Kinder mit ihr haben. Der Gedanke an sie veränderte seine Einstellung zum Krieg. Eine halbe Ewigkeit lag er da neben seinem toten Freund und wollte nur noch dieses Grauen heil überstehen, um sein Leben mit ihr beginnen zu können.«
»Meine Güte, Clare, fang bloß nicht an zu weinen.«
»Ich bin schwanger, und da hat man nun mal nah am Wasser gebaut. Außerdem finde ich die Geschichte schrecklich traurig. Ich komm einfach nicht gegen die Tränen an.«
»Erzähl uns den Rest«, bat Hope und hob den Kopf. Roch denn niemand außer ihr den süßen Geißblattduft? War niemand anderem klar, dass Lizzy hören wollte, was aus dem geliebten jungen Mann geworden war?
»Sie erhielten den Befehl zu einem erneuten Vorstoß. Wie uns ja in der Schule lang und breit erklärt wurde, hatten sich die Konföderierten stundenlang in dem Hohlweg verschanzt, und die Unionstruppen stürmten ein ums andere Mal dagegen an. Wobei es zu schrecklichen Verlusten auf beiden Seiten kam.«
Näher wollte er sich über die blutigen Details nicht auslassen, nicht hier in der sonnendurchfluteten Küche mit einer Schwangeren, die lautlos weinte.
»Obwohl beide Seiten Verstärkung schickten, artete die Schlacht innerhalb der nächsten Stunden zu einem entsetzlichen Gemetzel aus. Als die Konföderierten sich ein Stück zurückzogen, stieß die Union in die entstandene Lücke vor und hatte angesichts ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit ein leichtes Spiel. Ihre Soldaten haben die anderen einfach überrannt. Billy war bei dem Vorstoß dabei, brachte es aber plötzlich nicht mehr über sich zu schießen. Bis zu diesem Moment hatte er daran geglaubt, dass es seine Pflicht sei, zu kämpfen und auch zu töten. Für seinen gefallenen Freund und weil er einen Eid geleistet hatte. Plötzlich fiel ihm Eliza ein, der er versprochen hatte, heil zu ihr zurückzukehren, und seine Mutter, die bereits um einen toten Sohn weinte. Und der Krieg kam ihm mit einem Mal als sinnlose Vergeudung von Leben vor, und er war unfähig, noch einen weiteren Schuss abzugeben. Wollte einfach nur, dass es vorbei war. Wollte Lizzy und das Leben mit ihr, in einem Haus und mit einer Familie. Und genau in dem Moment, als er die Waffe sinken ließ, hat es ihn selbst erwischt.«
»Er ist also tatsächlich in dieser Schlacht gestorben«, stellte Hope sichtlich bewegt fest.
»Er fiel einfach um, schaute in den Himmel und dachte an sie, tastete erneut nach ihrem Bild. Als er dann das Blut auf ihrem Foto sah und die Schmerzen spürte, wusste er, dass es für ihn vorüber war. In diesen letzten Minuten bildete er sich ein, sie zu sehen und zu hören, glaubte sie nach ihm rufen zu hören. Krank und vollkommen verängstigt. Da rief auch er ihren Namen, und im selben Augenblick war es vorbei.«
Ryder blickte auf den Becher in seinen Händen und trank den ersten großen
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