BLUFF!
dann Hypothesen, die mit brillanten Argumenten verteidigt und mit noch brillanteren Argumenten widerlegt werden, und man kommt nie an ein Ende. Wissenschaft ist immer im Fluss, und jemand, der behaupten würde, er hätte eine ewige Wahrheit durch Wissenschaft erkannt, würde nur verraten, dass er gar kein Wissenschaftler ist.
Zwar behaupten auf unterschiedliche Weise die Philosophie und die Astronomie, sich mit dem Ganzen zu befassen, doch zum Ganzen gehört auch der Brotpreis beim Bäcker um die Ecke, und den kennt das alte Mütterchen besser. Wer behauptet, sich wissenschaftlich mit dem Ganzen zu beschäftigen, ist auch nur ein Spezialist für einen übergreifenden Aspekt der Welt, der keineswegs alles betrifft. Seriöse Astronomen haben nie behauptet, sie könnten etwas über den Sinn der Welt und des Lebens sagen. Sie haben gemessen und beschrieben, wie der Kosmos aussieht. Das ist Wissenschaft. Mit Weltanschauung oder Religion hat so etwas überhaupt nichts zu tun.
b) Der Irrtum des Richard Dawkins
Doch da beginnen die Fälscher ihr Werk. Sie behaupten einfach lauthals, diese wissenschaftliche Welt sei alles, was es gibt. Alles andere sei nicht wahr, sei höchstens ausgedacht, eingebildet, zusammengesponnen. Kein seriöser Wissenschaftler würde das behaupten, denn er weiß sehr gut, dass er seine Frau liebt, aber das nie wissenschaftlich beweisen kann, er weiß, dass er den Sinn seines persönlichen Lebens keineswegs aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen abzuleiten vermag, dass Gut und Böse, Gott und das ergreifend Schöne nicht messbar und berechenbar sind. Und er weiß zugleich, dass dennoch genau das den wahren Geschmack seines höchst persönlichen Lebens bestimmt. Wissenschaftler sind ja nicht dumm. Ideologen sind dumm. Und es gibt da einige intelligente dumme Propagandisten, die mit der Methode Gagarin – »Ich war im Weltall und habe da Gott nicht gefunden« – aus der genau »definierten«, also, wörtlich übersetzt, begrenzten Sicht der Wissenschaft eine Weltanschauung machen wollen. Was dabei herauskommt, ist nichts anderes als eine niederträchtige Fälschung der Wissenschaft und eine hochtrabende Fälschung der Welt.
Der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins ist so ein eifernder ideologischer Missionar. Er hatte ein Buch mit dem Titel »Der Gotteswahn« verfasst, das zufällig zugleich mit meinem Buch »Gott – Eine kleine Geschichte des Größten« auf Deutsch erschien, so dass wir uns über Wochen auf der »Spiegel«-Bestsellerliste Konkurrenz machten. Als die ARD auf der Frankfurter Buchmesse eine Diskussion zwischen uns organisieren wollte, bereitete ich mich durch Lektüre seines Buches vor und war überrascht bis amüsiert. Denn was ich fand, war ein Phänomen, dem ich bisher noch nicht begegnet war: fundamentalistischer Atheismus. Ich habe atheistische Freunde, mit denen man sehr anregend diskutieren kann, doch für Dawkins sind in seinem Buch Menschen anderer Meinung entweder lächerlich, bösartig oder geistesgestört. Kein Wunder also, dass Dawkins die beabsichtigte Diskussion kurz vorher absagte. Fundamentalisten diskutieren nicht gern. Und so schüttelten wir uns bloß die Hand, tauschten einige allgemeine Freundlichkeiten aus und wurden fein säuberlich getrennt interviewt.
Dawkins’ Problem ist, dass er kaum eigenständige wissenschaftliche Leistungen vorzuweisen hat, zwar die wissenschaftlichen Fakten ganz gut kennt, aber wissenschaftstheoretisch eine längst überwundene Position aus dem 19. Jahrhundert vertritt. Für ihn sind wissenschaftliche Erkenntnisse schlicht Wahrheiten. Dabei weiß heute jeder, dass eine Erkenntnis nur dann eine wissenschaftliche ist, wenn zugleich klar ist, wie man sie demnächst widerlegen könnte. Falsifizierbarkeit nennt man so etwas. Schlechte Zeiten eigentlich für Leute, die in der Wissenschaft ewige Wahrheiten suchen. Selbst die Physik weiß spätestens seit der Quantentheorie, dass sie im letzten subatomaren Bereich nur statistische Wahrscheinlichkeiten zu bieten hat. Jedem seriösen Wissenschaftler ist also klar, dass niemand auf solch schwankendem Grund sein ganzes Leben bauen kann. Wissenschaft ist nicht die Welt, sondern sie erfasst nur einen bestimmten Aspekt der Welt und des Lebens. Einen nützlichen und wichtigen gewiss, aber er umfasst zu unserem Glück nicht alles.
Doch so etwas ficht jemanden wie Dawkins und seine wackeren Mitstreiter nicht an. Sie missionieren mit einem Eifer, der guten Christen alle Ehre
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