BLUFF!
Regeln gibt, dass sich überhaupt irgendetwas entwickelt, das
erklärt
die Evolutionstheorie natürlich nicht. Und wie man von einem Gemälde rein gar nichts begriffen hat, wenn man weiß, wie es entstanden ist, mit Pinsel und Farben nämlich und in einem kontinuierlichen oder sprunghaften Schaffensprozess, so hat man auch von der Schönheit einer Blüte nichts wirklich begriffen, wenn man weiß, dass diese Blüte und auch ihre Attraktivität das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung ist. Die Evolutionstheorie in der Biologie
erklärt
also nicht das, was der neue Atheist von ihr erwartet, nämlich eine Welt ohne Gott, ja sie erklärt, worauf Richard David Precht zu recht hinweist, noch nicht einmal, warum sich begrenzte Wirbeltiergehirne um so etwas wie absolute Wahrheit mühen, aber sie führt lange vor der Quantentheorie in der Physik erstmals den Zufall ins naturwissenschaftliche Weltbild ein, und der Zufall ist wie ein Computervirus, der die ganze alte atheistische Argumentation letztlich zerstört. Natürlich bleibt radikaler Atheismus trotzdem immer möglich, aber die Evolutionstheorie ist kein gutes Argument dafür.
Dennoch hat sich erstaunlicherweise gerade die Evolutionstheorie als die klassische Ersatzerklärung der Welt für nichtreligiöse Zeitgenossen eingebürgert. Sie erscheint wie der abschließende Schlussstein im atheistischen Tempel des Nichts. Sie vermittelt den Ungebildeten unter ihren Vertretern das wohlige Gefühl, nun irgendwie alles erklären zu können. Doch das ist schlicht falsch. In Wirklichkeit erklärt sie gar nichts, wie wir gesehen haben, sie beschreibt bloß.
Das Missverständnis der Evolutionstheorie als Totalerklärung der Welt ist der ideale Filmplot für die naiven Regisseure der atheistischen »Truman-Shows« unserer Tage. Und so wirkt für manch einen, der eigentlich spürt, dass die Welt mehr zu bieten hat als das, was die Wissenschaft beschreibt, eine falsch verstandene Evolutionstheorie wie die Pappmascheewand, an die Truman am Schluss mit dem Bug seines Fluchtbootes stößt. Innerhalb dieser falschen Kulissenwelt scheint alles völlig durchschaubar. Ideologen werden bekanntlich von nichts mehr überrascht, denn sie wissen in ihrer ausgedachten leblosen Welt ja alles schon im Voraus. Und so gibt es auch für den Evolutionsideologen kein Staunen mehr über wunderschöne Blumen, prachtvolle Tiere und geistreiche Menschen. Wie ein schleichendes Gift greift tödliche Langeweile um sich in der Welt unter der Glocke. Immer mehr Menschen haben das Staunen verlernt. Freilich gibt es gute psychologische Gründe, warum Menschen dennoch die gewohnte öde und zudem noch falsche Welt dem Abenteuer vorziehen, sich ein Herz zu fassen, aufzubrechen und durch den Ausgang in der Pappwand in die eigentliche Welt vorzustoßen. Denn diese Welt ist inzwischen unbekannt.
Die Thesen des Richard Dawkins sind wortreich, aber nicht sehr intelligent. Doch darf man seine Wirkung nicht unterschätzen. Seine effektvolle Selbstinszenierung als tapferer missionarischer Kämpfer für das Licht der Aufklärung gegen die Dunkelheiten der Religion und seine raffinierte Behauptung, die meisten seien ohnehin Atheisten, seien bloß zu feige, es offen zu sagen, haben bei manch einem geheimen Atheisten, der so etwas nicht auf sich sitzenlassen wollte, zum atheistischen Outing beigetragen. Mag sein, dass das auch Helmut Schmidt veranlasst hat, sich auf seine alten Tage selbst als frühreifer Atheist zu bekennen und sich dafür preisen zu lassen, dass er den schlichten Durchschnittsmenschen, also den Wahlbürgern, jahrzehntelang die Unwahrheit gesagt habe, um sie nicht zu beunruhigen. Solch ein Beispiel beeindruckt manchen verunsicherten Zeitgenossen. Es scheint, dass die Anmutung der Modernität zusammen mit dem Image eines Wissenschaftlers und einer geschickten Vermarktungsstrategie Menschen besonders geneigt macht, ihren Verstand auszuschalten und in der atheistischen »Truman-Show« mitzuspielen, die Dawkins weltweit inszeniert. Dabei urteilt der keineswegs gläubige Philosoph Peter Sloterdijk über das Dawkinssche Bekenntnisbuch, dass es »der unvergänglichen Seichtheit des anglikanischen Atheismus ein Denkmal setzt«.
Allerdings darf man nicht den Fehler begehen, Richard Dawkins als Protagonisten der Wissenschaften zu sehen. Nach der Krise des physikalischen Weltbilds zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die großen Naturwissenschaftler der letzten hundert Jahre nicht selten gläubige Menschen gewesen.
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