BLUFF!
lebt, nichts mehr zu wünschen übrig. Man darf das nicht unterschätzen, eine solche Scheinwelt hat eine enorme Stabilität. Jedem Versuch, die Unhaltbarkeit der Grundannahmen dieser Art von Weltanschauung aufzudecken, wird der Bewohner dieser falschen Welt heftigen Widerstand entgegensetzen. Warum sollte so jemand ein Schiff besteigen und aus dieser heilen Trugwelt fliehen? Gewiss, er verpasst sein höchst persönliches echtes Leben. Doch er merkt das noch nicht einmal. Wie kaum ein anderer hat das Friedrich Nietzsche vorausgesehen: »Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der Alles klein macht. … Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben … Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht, aber man ehrt die Gesundheit.«
Der Atheismus Friedrich Nietzsches ist von ganz anderem Niveau als der fundamentalistische Atheismus eines Richard Dawkins. Er arbeitet nicht mit falschen Kulissen, sondern er deutet die Welt, deren schmerzhaften und verstörenden Aspekten er sich rückhaltlos aussetzt, mit letzter leidvoller Konsequenz atheistisch. Es gibt ihn also auch, den seriösen existenziellen Atheismus, der sich jeder vorlauten Propaganda enthält.
Am Schluss dieses Kapitels dürfte klar geworden sein, dass die Welt eben nicht bloß das ist, was die Wissenschaft beschreibt, und dass naive Wissenschaftsgläubigkeit ganz entscheidend zur Fälschung der Welt beiträgt. Dagegen sind gerade Wissenschaft und Vernunft die besten Instrumente gegen die Versklavung des Menschen durch Irrationalitäten aller Art. Freilich gibt es da religiöse und atheistische Irrationalitäten. Wie irrational fundamentalistische Atheisten sind, haben wir bereits hinreichend belegt. Aber natürlich gibt es auch in vielen religiösen Sekten ein hohes Maß an Irrationalität, das die Mitglieder ganz gefangen nimmt und wirkliche Wissenschaft als feindlich erscheinen lässt. Dagegen geben die großen christlichen Kirchen der Vernunft Raum. Papst Benedikt XVI . hat in seiner »Regensburger Rede« alle Religionen aufgefordert, im Umgang miteinander auf Vernunft zu setzen. Ohne Vernunft gibt es keinen wirklichen Dialog, und sie ist es auch, die der Gewalt wehren kann. Vernunft und Wissenschaft sind für Christen gute Gaben Gottes. Und das sieht in Goethes »Faust« sogar Mephistopheles so: »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft … so hab ich dich schon unbedingt.« Und Mephistopheles ist – der Teufel!
2. Psycho-Fälscher –
Die Auflösung der Wahrheit in Psychologie und wie ich ein Burnout-Burnout bekam
M eine Damen und Herren, all diese Psychotheorien sind doch nicht wahr, und wir brauchen sie in Wirklichkeit ja auch gar nicht für die Patienten. Wir brauchen sie für uns, damit wir an sie glauben können. Und wenn wir ganz fest an sie glauben, dann strahlen wir Sicherheit aus. Und diese Sicherheit ist es, die den Patienten hilft.« Ich erinnere mich noch gut der fassungslosen Blicke mancher Teilnehmer, als der sympathische alte Psychoanalytiker uns gleich zu Anfang des Seminars, charmant wienerisch, mit dieser Einsicht beglückte. Und für Nichtwiener ist bekanntlich bei diesem Akzent nie ganz klar, ob das nun ernst oder ironisch oder gar ein ganz klein bisschen zynisch gemeint sein könnte. Doch der alte Therapeut meinte das offenbar völlig ernst, und er amüsierte sich über die vielen verblüfften Gesichter, in die er da schaute.
a) Die Ermordung einer schönen Theorie durch eine hässliche Tatsache
Gerade hatte ich meine Psychotherapieausbildung begonnen, und Humor kam da eigentlich gar nicht vor. Im Gegenteil. Es herrschte bei den meisten Ausbildungsteilnehmern eine ziemlich ernsthafte und ziemlich unkritische grenzenlose Wissbegier für jede noch so weit hergeholte psychologische Theorie, und alles hielt man natürlich für wahr. Ich erinnere mich eines solchen Seminars, bei dem sich mir plötzlich der Gedanke aufdrängte, wenn der Leiter jetzt mit etwas Nachdruck behaupten würde, da säße gerade ein weißes Kaninchen in der Mitte, die würden das alle auch sehen, zumindest würde niemand zugeben, dass er, er allein, es nicht sehen könne. So war die Lage damals.
Psychoanalyse wollte ich lernen, denn das schien zu dieser Zeit die renommierteste Psychotherapieform. Und obwohl ich selber schon damals das psychoanalytische System mit Skepsis betrachtete, wollte ich »die
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