BLUFF!
Weise konnte die Hirnforschung wichtige Erkenntnisse gewinnen, die man auch therapeutisch nutzt.
Diese biologische Perspektive ist interessant, aber beileibe nicht die einzige Perspektive, unter der man die menschliche Psyche betrachten kann. Doch manche der weniger seriösen Hirnforscher versuchten einem weniger erleuchteten Publikum spektakulär klarzumachen, ihre Welt der Neurotransmitter und aktivierten Hirnareale sei das einzig Wahre, alles andere sei letztlich ohne Bedeutung. Goethes Faust, der ersehnt, »dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, schau alle Wirkenskraft und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen« – hätten diese wackeren Hirnforscher wohl fröhlich ein paar gut aufgelegte Neurotransmitter serviert. Liebe, Gut und Böse, Gott, all das seien »nichts anderes als« Neurotransmitterphänomene, verkünden solche Hirnforscher pathetisch. Die gebe es gar nicht wirklich. Gagarin lässt grüßen.
Doch die Welt, die sie da vorführen, ist eine naive oder dreiste Fälschung. Obwohl der Hirnforschungshype mit der unwiderstehlichen Mischung aus simplen und unverständlichen Ergebnissen Furore machte, sind seine Einseitigkeiten erkenntnistheoretisch eigentlich leicht zu durchschauen. Selbst der hartgesottenste Hirnforscher wird seiner Freundin wohl nicht erklären wollen, dass er sie nicht liebt, sondern dass seine derzeitigen Gefühle ehrlich gesagt nichts anderes als die Aktivitäten eines bestimmten Hirnareals seien, und die Forschungen, wie lange diese Aktivitäten in gleicher Intensität anhielten, seien leider noch nicht so weit gediehen, dass er sich entschließen könne, zu heiraten. Trotzdem wird gerade die Liebe immer wieder zum scheinbar gläsernen Gefühl. Jede Wissenschaft hat wohl schon einmal versucht, ihre Alleinzuständigkeit für die Liebe zu reklamieren. Liebe sei »nichts anderes als« Hormonreaktionen, als Neurotransmitteraktivitäten, als die Suche nach der verlorenen Mutter, als ein Mittel, um die Evolution weiterzubringen. Dabei ist das alles Unsinn. Wahre Liebe ist vor allem etwas Existenzielles. Liebe ist Liebe, und jeder Mensch hat wenigstens eine Ahnung davon, was damit gemeint ist.
»Ich mache eine Sendung über Burnout und wollte Sie fragen, ob ich Sie dazu interviewen kann.« Der Hörfunk-Redakteur eines renommierten Senders klang ziemlich geschäftsmäßig.
Irgendwie war ich an diesem Tag gut drauf und antwortete fröhlich: »Aber Burnout gibt es doch gar nicht!«
Nach einer Schrecksekunde hörte ich am anderen Ende: »Bin ich da wirklich in der Psychiatrie bei Herrn Dr. Lütz?«
Ich bestätigte ihm gerne, dass er an der richtigen Adresse sei, und erklärte dann ganz ernsthaft, dass die ICD -10, die derzeitig gültige Klassifikation aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation, Burnout als Krankheit nicht vorsehe, sie komme nur im Kapitel über belastende Lebensumstände vor, da gebe es neben Burnout zum Beispiel auch den Krach mit der Nachbarin.
Der Redakteur ließ nicht locker. Er habe sich jetzt sehr gut informiert und es sei doch unbezweifelbar, dass die Erreichbarkeit der Menschen rund um die Uhr über E-Mails, Handys etc. heute ein besonderes Problem darstelle. Ich antwortete: »Im Dreißigjährigen Krieg waren die Menschen in Deutschland rund um die Uhr durch die Schweden erreichbar, das war unangenehmer. Im neunzehnten Jahrhundert gab es drückende Armut und Kinderarbeit, im zwanzigsten Jahrhundert zwei schreckliche Weltkriege. Der Mensch musste sich schon immer mit vielen Belastungen herumschlagen.« Im Nachhinein habe ich es bedauert, dass ich da wohl etwas zu forsch war, denn der Redakteur hatte offensichtlich nur wenig Humor. Zum Interview kam es dann nicht, wahrscheinlich weil ich so gar nicht ins Konzept passte.
Sobald der Ausdruck »Burnout« fällt, ist nämlich sofort Betroffenheit im Raum. Neun Millionen »Burnout-Kranke«, behauptet eine von allen guten Geistern verlassene Krankenkasse, gebe es in Deutschland. In Wirklichkeit gibt es natürlich keinen einzigen Burnout-
Kranken,
weil Burnout ja gar keine Krankheit ist. Mit anderen Worten, allein wegen »Burnout« kann niemand zu Lasten der Krankenkasse behandelt werden. Was zum Teufel also steckt hinter diesem Hype?
Das Burnout-Syndrom ist ein Mischmasch an Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger jeder mal hat. Das reicht von Schlaflosigkeit bis zur völligen Überforderung, von psychosomatischen Symptomen bis zur tiefen Niedergeschlagenheit. Die Beschreibung
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