BLUFF!
ist aber so schwammig, dass von vagen Befindlichkeitsstörungen bis zur schweren Depression alles darunter verstanden werden kann. Was früher im Studium bei Kommilitonen, die nicht genug gelernt hatten, auf der Krankschreibung durch den verständnisvollen Hausarzt mal gerne »psychovegetatives Erschöpfungssyndrom« hieß, läuft jetzt unter dem respektgebietenden Allerweltslabel »Burnout«. Aber auch Menschen, die sich nicht getraut hätten, öffentlich eine »Depression« einzugestehen, tun sich offenbar leichter mit »Burnout«, und da hat das Wort sogar etwas Gutes, denn es klingt nicht so sehr nach passivem Opfer, sondern nach einem wahnsinnig aktiven Menschen, der zeitweilig zu viel »geburnt« hat und eben jetzt ausgebrannt ist. Andererseits geht der Zeiger der Schuld hier eher nach außen, auf den menschenschindenden Arbeitgeber oder andere böse Leute. Das wirkt entlastend und kann ja sogar im einen oder anderen Fall zutreffen, doch häufig lenkt es in der Psychotherapie ab von den eigenen Anteilen an der Überforderung und von der Notwendigkeit für Änderungen an der eigenen Lebensorganisation.
Burnout ist nichts wirklich Neues. Es ist ein neues Wort für ein altes Phänomen. Ende des neunzehnten Jahrhunderts litt alle Welt unter »Neurasthenie«. Das war eine allgemeine Erschöpfung und Überreizung und klang damals auch sehr interessant. In den sechziger und siebziger Jahren war »Depression« noch durchaus ein positives Wort. Doch wie fast alle psychiatrischen Begriffe mit der Zeit zu Schimpfwörtern oder Schmuddelbegriffen verkommen, geschah es auch der Depression, so dass nun eben »Burnout« angesagt ist.
Das Schlimmste an »Burnout« ist aber nicht bloß das völlig Diffuse dieses Wortes, das Schlimmste sind die selbsternannten Burnout-Experten. Einem solchen begegnete ich vor einer Fernsehsendung, in der er aus Anlass eines prominenten Burnout-Outings das Übliche sagen sollte. Kleinlaut ließ er mich wissen, dass er gar kein wirklicher Psychoexperte sei, sondern Allgemeinmediziner, der jetzt eine Burnout-Privatklinik in der Schweiz leite. Mir schwante nichts Gutes. Was er aber dann in der Sendung zum Besten gab, war unglaublich. Mit routinierter Rhetorik verkündete er, dass die angeblich neun Millionen »Burnout-Kranken« alle zum Fachmann müssten, sonst könnte sich aus dem Burnout sogar eine Depression entwickeln, die man, wenn überhaupt, mit pflanzlichen Produkten, aber letztlich eigentlich überhaupt nicht mehr behandeln könne. Das hatte wissenschaftlich etwa das Niveau, als wenn ein Physiker in einer Talkshow erklären würde, die Erde sei eine Scheibe. Nichts davon stimmte. Vor allem ist die Depression heute eine gut behandelbare Erkrankung, fast alle Depressiven werden gesund. Solche unverantwortlichen Burnout-Experten sorgen dafür, dass kerngesunde Menschen, die sich völlig überfordert haben, jetzt denken, sie seien in Wirklichkeit krank, und deshalb Therapieplätze belegen, die dringend für wirklich kranke Patienten benötigt werden. Im Übrigen kann die intensive Suggestion, krank zu sein, zu wirklichen psychischen Krankheiten führen.
Gewöhnlich sind die Ratschläge solcher Burnout-Experten, wenn sie nicht völlig falsch sind, zumindest von hochtrabender Banalität. Wenn jemand sechzehn Stunden am Tag schuftet, auch am Sonntag durcharbeitet und sich dabei erstaunlicherweise nicht wohl fühlt, dann warten diese Experten mit dem unglaublich guten Ratschlag auf, dass der mal kürzertreten, weniger pro Tag arbeiten und unbedingt einen Ruhetag in der Woche einhalten sollte. Das hätte ihm allerdings auch meine Großmutter geraten – und sie hätte damit übrigens völlig recht gehabt.
Es stimmt schon, dass viele Menschen heute mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen. Beruflich lassen sie sich so weit befördern, bis sie auf einem Posten landen, für den sie völlig inkompetent sind. Ein Versicherungsvertreter, der einen hervorragenden Kontakt mit den Kunden hat und unglaublich viele Verträge hereinholt, wird zum Abteilungsleiter in der Zentrale befördert. Da hat er keinen Kundenkontakt mehr und muss Leitungsfähigkeiten beweisen – die er aber nun mal nicht hat. Daher wird er dann auf Schulungskurse geschickt. Doch jeder weiß, dass bestimmte Fähigkeiten gar nicht erlernt werden können, sondern entweder vorhanden sind oder nicht. Das alles frustriert und überfordert so jemanden natürlich. Er hat ein höheres Gehalt, ist aber ein unglücklicherer Mensch. In so
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