BLUFF!
ist und vor allem, wo sich der Ausgang befindet.
Jedenfalls bietet die Welt der Unterhaltung eine attraktive Möglichkeit zur Flucht aus der wirklichen Welt in mehr oder weniger angenehm gefälschte Welten, und wer diesem Sog folgt, dem wird die ganze Welt mit der Zeit zum Fernsehstudio, in dem er sein Leben verbringt, ein Leben, dem die eigentliche existenzielle Substanz auf Dauer abhandenkommt. Ein Leben, das am Ende kein Du mehr kennt, den wichtigen Mitmenschen, den hilfsbedürftigen Nachbarn, den hilfsbereiten Freund oder gar das absolute Du Gottes.
c) Leben im Netz
Staatstrojaner waren plötzlich in aller Munde. Und flugs musste sich auch eine ältere Generation, wenn sie politisch auf dem Laufenden sein wollte, mit Risiken und Nebenwirkungen von Computern befassen.
Große Aufregung! Der Staat hatte eine Software eingesetzt, die Computer ausspionieren konnte, aber diese Software konnte oder tat mehr als vom Gericht erlaubt. Die Szene war ziemlich bizarr. Hier wurde mit gewaltigem Medienaufwand ein möglicher, möglicherweise gar nicht wirklicher, aber schon als möglicher möglicherweise illegaler staatlicher Übergriff gegenüber einem mutmaßlichen Verbrecher zur Staatsaffäre erklärt. Dabei wirkten die angegangenen Politiker allerdings keineswegs listig wie Odysseus dazumal, sondern eher hilflos und offensichtlich computermäßig völlig überfordert. Der Chaos Computer Club konnte genüsslich einen Politiker nach dem anderen vor eine Wand laufen lassen, die der arme Politiker mal wieder gar nicht wahrgenommen hatte.
Keine Frage, gerade der Staat muss sich auch im Bereich der neuen Medien an seine eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien halten. Doch schien die Aufregungsökonomie etwas verrutscht. Es ging hier bloß um Ausspähungs
möglichkeiten
durch den Staat. Wie aber sieht es mit der Ausspähungs
wirklichkeit
durch die neuen sozialen Netzwerke und durch im Internet tätige Firmen aus?
Kurze Zeit nach der staatstrojanischen Staatsaffäre erschien ein Artikel über die schon seit langem stattfindende unglaubliche Bespitzelung von uns allen nicht durch biedere Staatsbeamte, sondern durch profitgierige und offensichtlich völlig hemmungslose Firmen, und diese Ausspähung geschieht nicht bloß bei wahrscheinlich bösen mutmaßlichen Verbrechern, sondern bei buchstäblich jedem, also auch bei netten Menschen wie bei Ihnen, liebe Leser, ohne dass Sie das vielleicht wissen, und übrigens schon seit ziemlich langer Zeit. Eigentlich ein unglaublicher Skandal, doch diese Firmen sind sehr mächtig, und man kommt nicht wirklich an sie heran, denn sie agieren international. Deswegen glaubt niemand, dagegen wirksam vorgehen zu können, und es herrscht allgemeiner Fatalismus.
Tatsache ist aber, dass wir alle offensichtlich bereits seit sehr langer Zeit und wohl auch noch weiterhin in unserer eigenen »Truman-Show« leben, nur dass nicht Milliarden treuherziger, naiver Menschen dauernd zusehen, was wir Tag für Tag so treiben, sondern es sind mit allen Wassern gewaschene Verkaufsstrategen, die vor nichts zurückschrecken, um Kasse zu machen. In seinem Buch »Payback« hatte Frank Schirrmacher diese beängstigende Welt plastisch geschildert und mit den Machthabern gesprochen, die nicht wie früher Macht mit Waffen, sondern mit Datenwissen ausüben können.
Wenn bei Google, Amazon und anderen Internetfirmen genau beobachtet wird, was wir da so anschauen und tun, dann wissen die mehr als die Gestapo und die Stasi zu ihren besten Zeiten. Gewiss, deren Methoden sind dann nicht primitive Freiheitsberaubungen durch staatliche Zwangsmaßnahmen, sondern elegante Freiheitsberaubungen durch geschickte Manipulationen. Wer sich mit einem bestimmten Bereich der Welt besonders gerne befasst, bekommt durch diese Firmen immer wieder Informationen nur oder vor allem zu diesem Bereich, und so ist er mit der Zeit, ohne es recht zu merken, gefangen in seiner eigenen kleinen Welt, aus der er dann irgendwann gar nicht mehr herauskommt oder herauswill, weil er ganz vergessen hat, dass es außerhalb seiner Präferenzen noch eine andere Welt gibt. Es ist wie früher bei Menschen, die jahrzehntelang gefangen waren und bei ihrer Befreiung gar nicht mehr herauswollten aus der ihnen bekannten Welt.
Natürlich ist jede Wahrnehmung der Welt subjektiv. Aber da gibt es ein breites Spektrum. Da sind einerseits Menschen, die geistesgegenwärtig das, was die weite Welt objektiv zu bieten hat, wahrnehmen, mit anderen darüber kommunizieren
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