BLUFF!
lärmende Weihnachtstrubel überrollt inzwischen rücksichtslos alles. Lichterketten im Schaufenster für Unterwäsche, erbarmungslose Musikberieselung nicht mit Advents-, sondern mit Weihnachtsliedern, Weihnachtsmärkte mit schummrig beleuchteten Blockhütten, in denen entsetzlich spießige Niedlichkeiten neben Bismarckheringen feilgeboten werden und in denen sich betrunkene, zu Recht kinderlose Lebensabschnittspartner, ans Glühweinglas geklammert, »Ihr Kinderlein kommet!« anhören. Dieses komplett gefälschte Weihnachtsfest ist neuerdings einfach in jeder Hinsicht der Horror.
Wenn irgendwelche »Experten« zu Weihnachten befragt werden, dann erzählen sie allenfalls wortreich von folkloristischen Weihnachtsbräuchen wie von exotisch wirkenden Steinzeitritualen, von psychologischen Aspekten und von der angeblich dringend erforderlichen Diät nach dem Luxusgelage. Weihnachten kommt bei diesen Weihnachtsexperten einfach überhaupt nicht mehr vor.
So hat sich Weihnachten inzwischen jeglicher existenzieller Inhalte entledigt. Es geht nicht um den christlichen oder sonst irgendeinen Gott, es geht nicht um Liebe oder um Moral, sondern man zeigt, was man hat, und man bekommt, was einem zusteht, und das möglichst reichlich. Diese Fälschung des Weihnachtsfestes ist ökonomisch ein voller Erfolg. Alles dreht sich um gnadenlosen Kommerz, die Kassen klingeln hektisch, denn »Weihnachten wird unterm Baum entschieden«, wie ein Unternehmen dreist verkündete. Vor allem geht es um Geld, Geld ausgeben und Geld verdienen, und die Bilanz des Weihnachtsfestes zieht der Einzelhandel: Diesmal war Weihnachten wieder ein voller Erfolg!
Da die Dinge nun mal so liegen, kann man Christen eigentlich nur noch vorschlagen, ihr christliches Weihnachtsfest am besten in den Sommer zu verlegen. Vielleicht würde das gar keiner sofort merken, und ohnehin ist Jesus wahrscheinlich in der warmen Jahreszeit geboren, sonst wäre er in der Krippe mutmaßlich erfroren. Die Heiden wären dann bei ihrem Lichterfest zur Sonnwendfeier am 25. Dezember ganz unter sich und könnten so richtig von »Geiz ist geil« bis zu »Man gönnt sich ja sonst nichts« die Sau rauslassen, und die Christen könnten sich im Sommer wieder in Würde und Besinnlichkeit der Menschwerdung Gottes erinnern.
b) Die Finanzwelt ruft zum Hammelsprung
Die Welt des Geldes ist eine eigene Welt, mit eigenen Werten, mit eigenen »Wahrheiten«, mit einem eigenen Sinn des Lebens, und wir alle nehmen an ihr teil, ob wir wollen oder nicht. In dieser Welt gibt es nicht Liebe, sondern bloß Geschäftsbeziehungen, es gibt nicht Gut und Böse, sondern bloß Lukrativ und Nichtlukrativ, und natürlich gibt es in dieser Welt auch nicht Gott oder den Sinn des Lebens, sondern bloß den Markt. Auch diese Welt übt auf uns alle, auf den Bankdirektor und den Unterstützungsempfänger, unvermeidlich ihre Wirkung aus. Dass die Wirkung des Geldes Menschen ganz beanspruchen und vom Wesentlichen im Leben abhalten kann, das wusste schon ein kluger Mensch wie Franz von Assisi, der seinen ersten Gefährten verbot, Geld auch nur zu berühren, und Fausts Gretchen seufzt: »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen.«
In Deutschland blühte die Welt des Geldes ganz besonders bald nach der Wiedervereinigung auf. Plötzlich sollte jeder Aktien erwerben. Die Telekom-Aktie wurde zur »seriösen« Anlage für den kleinen Mann. Der allseits beliebte Schauspieler Manfred Krug pries in Werbespots die Aktie für Otto Normalverbraucher. Man hatte nicht bloß einen Volkswagen, sondern jetzt endlich auch eine Volksaktie. Ein veritabler Bundesminister fand sich ein, als der Vorstandsvorsitzende der Telekom, Ron Sommer, die neuen Aktien unters Volk warf. Und das Volk war begeistert. Ron Sommer gehörte zu den beliebtesten Deutschen, ein smarter Manager, der Erfahrung in Amerika gesammelt hatte, kompetent, tatkräftig, souverän. Das Deutsche Fernsehen vermehrte seine Börsensendungen, es gab jetzt nicht mehr bloß den Wetterbericht, sondern mit gleicher Prominenz den Börsenbericht. Das Ganze wurde nicht mehr nur als Zahlenakrobatik, sondern unterhaltsam und locker aufgemacht. Börse als Show, Erfolg für alle, leichtes Geld für ein schweres Leben. Börse war einfach in, war modern, sexy, angesagt. Investmentbanker schossen wie Pilze aus dem Boden. Jede Sparkasse leistete sich ein Vermögenscenter, in dem Kunden von jungen dynamischen Beratern mit den neuesten Angeboten beglückt wurden. Im Grunde
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