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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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handelte mein Buch »Lebenslust – Wider die Diätsadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult«. Hier geht es um das gefälschte Weltbild, das die Gesundheitsreligion überall propagiert. Und auch da ist für existenzielle Erfahrungen kein Platz.
    Die Gesundheitsreligion kennt natürlich keinen Gott, denn sie verdankt ihr Entstehen ja gerade dem Zweifel an höheren Mächten und Zielen, und einen Sinn des Lebens außerhalb der beständigen Förderung der Gesundheit vermag sie nicht zu sehen. Der Sinn des Lebens ist nach Auffassung der Gesundheitsreligion nichts anderes als – die Gesundheitsreligion. Dabei ist Gesundheit in Wirklichkeit nur eine nicht ganz unwichtige Rahmenbedingung fürs Leben, sie ist nicht das Leben selbst. Doch der Gesundheitsgläubige verhält sich wie ein Theaterdirektor, der all seine Mühe darauf verwendet, ein Theater instand zu halten, in dem niemals gespielt wird. Der Gesundheit zuliebe verzichtet er tugendhaft aufs pralle Leben. Ein köstliches Mahl – um Gottes willen, das Gewicht! Wunderbarer Wein und am Schluss noch ein Schnaps – um Himmels willen, die Leber! Wochenlang herumfaulenzen im Urlaub ohne Sport – eine Sünde wider den Körper! Lebenslust ist für den passionierten Müslifan nichts anderes als eine teuflische Versuchung. Und wirkliche Religion ist da natürlich wie Opium für das Volk, denn sie könnte durch die scheinbare Vertröstung auf ein wunderbares ewiges Leben Partystimmung aufkommen lassen und die Motivation schwächen, hier und jetzt die strengen Regeln der Gesundheitsreligion strikt einzuhalten.
    Auch die anderen existenziellen Erfahrungen kommen in der Welt des Gesundheitsgläubigen nicht vor. Zu Liebe fällt der Gesundheitsreligion nur ein, was man im Frühjahr als Schlagzeile in Boulevardblättern lesen kann: Sex ist gesund! Aber ganz im Ernst: Der Geschlechtsverkehr, der petite mort, der kleine Tod, der französischen erotischen Literatur, zur Stabilisierung der Blutdruckamplitude? Das wäre das definitive Ende der Erotik! Und die Moral hat die Gesundheitsreligion komplett abgeschafft nach dem Motto: Wer heilt, hat recht. Das ist zwar etwas gefährlich für nicht heilbare Demenzkranke und schwer behinderte Kinder, aber wenn der gesunde Mensch der eigentliche Mensch ist, dann ist natürlich der definitiv nicht gesunde Mensch ein Mensch zweiter oder dritter Klasse.
    Die Gesundheitsreligion ist hemmungslos. Kein Ort, keine Situation, kein Gespräch ist vor ihr sicher. Jeder Fernsehsender, der etwas auf sich hält, hat seine Gesundheitssendung, in den Nachrichten werden erbauliche Mahnungen eingestreut, das Radio berichtet, und die regelmäßigen Gesundheitsseiten in den Zeitungen haben längst tiefer gehende Reflexionen über Gott und die Welt verdrängt. Niemand kann sich der Allgegenwart von gesundheitlichen Ratschlägen entziehen. Und das wirkt unvermeidlich auf uns alle, selbst wenn wir dem galoppierenden Gesundheitswahnsinn mit ironischer Skepsis gegenüberstehen. Die Gesundheitsreligion produziert eine höchst wirksame Fälschung der Welt. Sie bringt den Menschen nachhaltig dazu, ausschließlich auf den eigenen Body zu starren, und hindert ihn daran, den Blick auch mal nach oben oder überhaupt irgendwo anders hin zu richten. Wer mit Haut und Haaren diesem Massenwahn verfallen ist, der empfindet am Ende die wirkliche Welt, die existenzielle Welt, als leichtfertiges Hobby von Leuten, die bloß nicht in der Lage sind, tapfer ihren Laborwerten ins Auge zu schauen.
    b) Das Runde muss ins Eckige
    Es geht aber auch umgekehrt, dass nämlich das Hobby zum totalen Lebensinhalt wird. Für manch einen hat Fußball eine Bedeutung wie früher die Religion. Tatsächlich ist von »Fußballgöttern« die Rede, und es gibt Fans, die leben emotional im Grunde fast nur noch mit ihrem Verein. Sie betrauern tiefbetrübt die vergangene Niederlage, sie fiebern die ganze Woche über dem nächsten Spiel entgegen, all ihr Denken und Fühlen dreht sich um »ihre« Mannschaft.
    Nichts gegen einen spielerischen Umgang mit einem solchen Spiel. Noch der legendäre Bundestrainer Sepp Herberger war für seine humorvollen Kommentare bekannt: »Der Ball ist rund« und »Das Runde muss ins Eckige«. Doch heute werden Spiele mit einer allenfalls unfreiwillig witzigen Akribie so »analysiert«, dass man denken könnte, es gehe dabei um das Wohl und Wehe der Menschheit. So etwas bestärkt den auf Abwege geratenen Fußballfan in seiner verhängnisvollen Verirrung. Dabei sind die

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