BLUFF!
Liebesentscheidungen gerade eine schlechte Zeit oder man werde vielleicht auf ungewöhnlichen Wegen das große Glück erleben, dann schiebt manch einer vielleicht die geplante Ehe noch mal auf, und ein anderer nutzt die Chance zum Fremdgehen. Das kann massiven Einfluss auf die ganze Existenz eines Menschen haben. Liebe, Gut und Böse, der Sinn des Lebens, das alles gibt es für den sternengläubigen Menschen nicht wirklich als etwas Eigenständiges, denn es unterliegt der Macht der Sterne. Fatalismus, Schicksalsergebenheit und Flucht aus der eigenen Verantwortung, in der Astrologie finden sie eine bunte Spielwiese: Ich bin nicht fremdgegangen, die Sterne wollten das so! Ich habe dich nicht verlassen, unsere Aszendenten passen halt nicht zusammen! Selbst wenn jemand eigentlich nicht an Astrologie glaubt, der angebliche Rat der Sterne, zufällig in einer Zeitung gelesen, kann unbewusst existenzielle Entscheidungen fatal beeinflussen.
Der klassischen Werbestrategie aller Esoteriker kann man übrigens auch bei der Astrologie begegnen. Der Astrologiemissionar bestätigt überraschenderweise die eigenen Bedenken gegen all diesen Unsinn. Natürlich seien die Horoskope in den Illustrierten völlig wertlos. Das sei bloß billiges Amüsement fürs dumme Volk. Nur das individuelle, das »mit wissenschaftlichen Methoden« erstellte, das differenzierte Horoskop sei wirklich »seriös« und aussagekräftig. Man stimmt dem Zweifler bei seinen Zweifeln zu und lädt ihn, psychologisch geschickt, ein, zum verschworenen elitären Kreis der wirklich Wissenden zu gehören. Wer sich freilich auf diesen lockenden Weg begibt, gerät natürlich noch umfassender in die Fänge der künstlichen Heilslehre. Er verliert seine Freiheit an ein Schicksal, das andere für ihn kennen.
Für wenige Minuten bin ich übrigens selbst einmal in astrologischer Versuchung gewesen. Ich hatte bei einer Podiumsdiskussion mit einem Theologen und Astrologen zu debattieren, der zu allem Überfluss auch noch Religionslehrer war und seinen Religionsunterricht mit astrologischen Spielchen aufhübschte. Ich fand die Kombination ziemlich unappetitlich, hatte mich gut vorbereitet und alle mir zugänglichen wissenschaftlichen Argumente gegen die Astrologie und überhaupt gegen esoterische Anwandlungen aufgefahren. Ich hatte die Untersuchungen von Hans Jürgen Eysenck zitiert, der mit präzisen wissenschaftlichen Methoden astrologische Behauptungen überzeugend widerlegt hatte, und gleich auch andere abergläubische Auffassungen entkräftet, so die oft zu hörende Überzeugung, dass der Vollmond erhebliche psychische Auswirkungen habe oder Freitag der Dreizehnte ein Unglückstag sei.
Der Astrologe war zum Schluss ziemlich frustriert, vor allem als ich ihn bat, zu erraten, was ich denn bei meinem nun von ihm erlittenen Charakter aus seiner professionellen Sicht wohl für ein Sternbild hätte. Erst der zehnte Versuch traf ins Schwarze – bei insgesamt zwölf Sternbildern nicht gerade ein voller Erfolg. Und dann fuhr ich nach Hause. Schon im Flur kam mir Wasser entgegengeflossen. O Gott! Schlagartig fiel es mir ein: Morgens war das Wasser abgestellt gewesen und ich hatte vergessen, den Wasserhahn wieder zuzudrehen! Während ich schicksalsergeben in stundenlanger Arbeit meine Wohnung wieder einigermaßen trockenlegte, beschlich mich ganz kurz der Gedanke, ob sich nicht vielleicht die Sterne gerächt haben könnten und ich mich so richtig wie ein Fisch im Wasser fühlen sollte. Doch dann gab ich meinem waagen Hungergefühl nach, verspeiste in meiner krebsroten entwässerten Küche nicht einen Skorpion oder widderliches Stierfleisch, sondern mit Löwenhunger einen jungfräulichen Pfirsich und dankte dem Wassermann, der den Wasserrohrbruch repariert hatte. Anschließend schützte ich Müdigkeit vor. Von Zwillingen oder Steinböcken wollte ich nichts mehr hören und ging schlafen.
Im Grunde wundert man sich, dass Überzeugungen, von denen sich die Menschheit vor zweieinhalbtausend Jahren schon einmal erfolgreich emanzipiert hatte, heute fröhliche Urständ feiern. Ich habe tatsächlich bestallte Naturwissenschaftler kennengelernt, die leicht beschämt gestanden, sie hätten sicherheitshalber mal ein paar energiereiche Steinchen auf die Fensterbank gelegt. Doch mit guter Werbung ist alles möglich.
Christentum und Kirchen sind da keine Konkurrenz, da man ihnen beständig die Untaten ihrer zweitausendjährigen Geschichte vorhält. Die Esoterik dagegen präsentiert sich,
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