Blumen für den Führer
glaubte ihm. Sie fühlte sich geborgen und geliebt, empfand weder Angst noch Zweifel. Es lag ihr auf der Zunge, noch etwas Wichtiges, Verteidigendes über Fräulein Knesebeck zu sagen, vor allem über Jockel: dass er krank sei und dringend Hilfe brauche. Aber sie entschied sich, lieber doch zu schweigen. Weil der Vater gewiss nichts Unrechtes tun würde. Weil er ein genauso guter Mensch war wie der Doktor
Schweitzer, wie Martin Luther, wie der Führer. Ihr Vater war wie all die großen Männer der Geschichte.
»Vertraust du mir, Renata?«, fragte er.
Sie lächelte und sagte liebend gerne Ja.
Der Ball auf der Treppe
W altraut entdeckte Kiank im selben Augenblick, als Korff und sie, den kranken Jungen stützend, den Innenhof des Krankenhauses betraten.
Korff hatte Jockel im Seitenwagen transportiert, fest in Decken eingewickelt. Das Fieber war zu hoch gestiegen.
Waltraut war die Strecke bis zum Krankenhaus zu Fuß gelaufen. Eine gute Viertelstunde hatte sie gebraucht. Hausmeister Kiank, der Spion, tauchte in der Einfahrt auf, und er versteckte sich dort nicht mal richtig. Waltraut sagte nichts zu Korff. Erst im Behandlungszimmer, als Jockel auf der Pritsche lag.
Der Junge schwitzte stark und zitterte. Der Arzt kam, hörte dem Bericht zu, begann mit seiner Untersuchung. Korff und Waltraut gingen auf den Flur und warteten. Es roch nach Reinigungsmittel. Das Licht sah aus wie braunes Tümpelwasser.
»Ich verstehe Kiank nicht«, erklärte sie. »Schämt er sich nicht, uns offen zu bespitzeln?«
Korff antwortete, dass der Mann das ganze Land hinter sich wisse. »Die Misera hat ihn hergeschickt. Sie wurde vom Herrn Grafen instruiert und dieser hört auf den Befehl des Führers. So springt der Ball von Stufe zu Stufe, bis er unten ist.« Korff grinste bissig. »Die Frage ist, wie wir diese Ratte
abschütteln. Jedenfalls können wir nicht in die Wohnung zurückkehren, solange er uns auf den Fersen ist. Dasselbe gilt für die Pension.«
Waltraut gab ihm bereitwillig recht. Je länger sie über Kiank nachdachte, umso beunruhigender erschien er ihr. Welchen Zweck verfolgte die Misera? »Will sie uns anzeigen? Ich hatte mein ganzes Leben noch nie mit der Polizei zu tun. Sind wir jetzt Verbrecher?«
»Das geht verdammt schnell heute.« Korff betrachtete die Kugellampe, die von der Decke hing. Stubenfliegen krabbelten kopfüber darauf umher. Er lachte bitter und fasste sich an den Schädel. Eine Schwester lugte aus einer Tür und blickte strafend her. Waltraut spürte Beklemmung.
»Eines Tages«, sagte Korff, »werden wir uns alle gegenseitig beobachten, Tag und Nacht. Jeder verdächtigt jeden, aber niemand kennt den Verdacht.«
»Ich geh jetzt zu ihm hin. Ich will das wissen!«, sagte Waltraut plötzlich hart und ging zur Eingangstür. Korff schaute ihr verwundert nach. Sie nickte ihm kurz zu, durchquerte draußen den Hof und steuerte ohne Zögern auf die Durchfahrt zu.
Kiank rauchte.
Als er sie kommen sah, warf er die Zigarette hin und flüchtete. Der Feigling. Sie rannte hinterher, durch die Einfahrt auf die Straße. Sie sah ihn hinter einem geparkten Lastauto verschwinden, drüben tauchte sein grauer Regenmantel wieder auf. Sie schaute seiner Flucht zu. Ein Stück die Straße hinauf hielt er an und stellte sich in einen Hauseingang. Sein Blick suchte nach ihr. Sie blieb einen Moment in ihrer Deckung, dann huschte sie über die Straße und hielt sich dicht an den Fassaden. Er sah sie nicht, er fühlte sich bestimmt
schon sicher, glaubte, dass sie ihn verloren habe. Dicht vor dem Hauseingang blieb sie stehen. Seine Stiefelspitzen lugten hervor. Er stand auf einer Treppenstufe.
Waltraut nahm allen Mut zusammen und trat vor ihn hin. Er machte schmale Augen, seine Lippen wurden weiß vor Überraschung.
»Und?«, maulte er.
»Na, am liebsten wäre mir, ich dürfte erfahren, warum Frau Misera Sie herschickt.«
»Wie komm Se denn darauf?«, fragte er.
»Sie spielen Polizei, Herr Kiank.«
»Ick spiele jar nüscht. Ick kenne Ihre Sorte.«
»Und welche Sorte bin ich?«
»Ham Se diesem Korff gesagt, dass er im Hintergrund bleiben soll? Er beobachtet uns doch.«
»Haben Sie etwa Angst vor ihm?«
»Dass ick nich lache, vor dem Alten!« Seine Zähne waren gelb. Er hatte graues Haar und war selbst nicht mehr der Jüngste.
Waltraut sagte: »Wir haben den Jungen ins Krankenhaus gebracht, weil er hohes Fieber hat.«
»Der Bengel gehört auf die Polizei.«
»Er ist ein Kind, Herr Kiank.«
»So Kinder kenn ick.«
Sie
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