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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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zur Ordnung zu rufen, nahm sie selber ein Stück Kuchen und aß es, langsam, obwohl es ihr nicht schmeckte.
    »Wenn wir es richtig machen, wird dich der Führer lieben, Kind. Er wird dir Geschenke machen, er wird dir Orchideen senden lassen, stell dir das bitte vor. Unbezahlbar. Orchideen schenkt er Frauen wie Hermine Körner, die Schauspielerin. Goebbels* hat von ihm vergangenes Jahr ein sogenanntes Kofferradio bekommen, einen Radioapparat, den man überall mit hinnehmen kann.« Er machte große Augen. »Wir müssen es nur richtig machen, Renate, dann haben wir Erfolg. Den Erfolg, den wir uns beide wünschen, verstehst du das?«
    »O ja, Papa.«
    Am meisten imponierten ihr seine Vornehmheit, die lange Nase und der Blick, der selten nah und warm schien, sondern zielend, aber dennoch vornehm. Heimlich hatte sie geübt, wie er zu schauen – herrisch geradezu, obwohl ihr die Bezeichnung nicht gefiel. Wie schaut eine Komtesse? Jedenfalls
nicht so wie Fräulein Dohm, der die Kälte ihres Blicks nicht zustand.
    »Am kommenden Donnerstag schon sind wir in Berlin. Wir haben nicht viel Zeit zum Lernen. Viktoria hat mir eine Liste ihrer Gäste zugesandt. Der Führer kommt. Emmy Göring* und eine Reihe Schauspielerinnen, die man aus Filmen kennt. Richard Strauss, der berühmte Komponist. Die Damen vom Film sind eitel, man muss ihnen schmeicheln. Wir werden uns in Berlin Filme ansehen, damit du im Gespräch hervorheben kannst, in welcher Szene dir jemand besonders gefallen hat. Sie werden dir nicht mehr von der Seite weichen, weil sie immer wieder Komplimente brauchen. Wie Atemluft.«
    Reni war entzückt. Sie hatte Bilder in den Illustrierten gesehen, kannte ein paar Namen. Der Vater freute sich, dass sie sich freute. Sie sah es ihm an und dankte ihm sehr herzlich.
    »Renate, du magst dich vielleicht wundern, wie es bei diesen Soireen bisweilen zugeht. Aber du darfst keine Angst haben. Die Gräfin hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Aufstieg des Reichs auf ihre sehr eigene Weise zu fördern. Alles dort ist rechtens.«
    Reni verstand, obwohl sie nicht hätte sagen können, was genau er meinte. Aber jeder Mensch, der Vernunft hatte, musste das Fortkommen des Reichs unterstützen und sollte natürlich eigene Wege finden, die Dinge zum Besseren zu führen. Wenn diese sogenannten Soireen das angemessene Mittel waren, dies zu erreichen, dann wollte sie weiß Gott mit aller Kraft dabei mitwirken.
    »An diesem ersten Donnerstagabend lädt Viktoria also mit Bedacht wieder wichtige Herren aus Politik und Wirtschaft ein. Die eingeladenen Frauen entstammen dem Bereich der Kultur, das ist üblich, also Künstlerinnen. Hinzukommen
junge Damen aus den besten Kreisen, du weißt ja: die sogenannten Mädchenblüten. Diese Mädel haben die edle Aufgabe, mit den Herren ins Gespräch zu kommen. Ich bin besonders stolz, eine so bildhübsche Tochter mitbringen zu können, von der ich weiß, dass jeder der Gäste sich liebend gerne mit ihr unterhalten möchte. Du wirst begehrt sein, wundere dich also nicht und habe niemals Angst. Diese Herren sind sehr wohlerzogen, rücksichtsvoll, gebildet und gepflegt. Sie sind allesamt mächtige Männer in gehobenen Positionen. Die Gräfin wählt sie äußerst sorgfältig aus, allein schon weil immer die Möglichkeit besteht, dass sogar der Führer anwesend ist.«
    Sie weinte wirklich beinah. Hätte jetzt aufspringen und dem Vater um den Hals fallen können: dass er sie so liebte und förderte. Komtesse Renate, dachte sie und dachte es noch einmal und immer wieder, hätte es am liebsten laut gerufen – so laut, dass Fräulein Dohm es draußen hörte.
    »Werden wir ein neues Kleid für mich kaufen?«
    »Wir werden viele Kleider kaufen. Ein Schneider wird sie für dich fertigen. Wir werden Schuhe kaufen, Schmuck. Wir kaufen, was du möchtest. Ich möchte, dass du glücklich bist, dass du dich wohlfühlst dort.« Er zögerte. »Ich habe den Fehler gemacht, dich in der Vergangenheit nicht zu beachten, und möchte diesen Fehler nicht wiederholen.« Er zögerte. »Weil mir das Schicksal meine Tochter ein zweites Mal geschenkt hat.«
    Jetzt weinte sie, die Tränen liefen. Sie vermied es jedoch, dabei Geräusche zu machen. Der Vater schaute verlegen auf seine Hände. Reni versprach ihm noch einmal, alles zu tun, um ihn nicht zu enttäuschen, damit all seine Pläne Wirklichkeit würden und damit sie ihm als Tochter gefiele.
    Sie dachte an die neuen Kleider, die für sie geschneidert würden, an die Schuhe. Sie sah sich

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