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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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noch ein bisschen im Auge. Wenn Sie ihn besuchen wollen – am Nachmittag von fünf bis sechs.«
    Die beiden Männer gaben sich die Hand. Korff winkte Jockel zu, dann ging er weg.
    Jockel hätte sich gerne noch einmal bedankt. Aber das konnte er auch später machen, wenn sein Retter wiederkam. Die junge Frau aus Haus Ulmengrund war nicht mehr da. Er war allein. Wenn er es genau bedachte, war er darüber sogar froh.
    Die Krankenschwester kam aus der Nebentür. Sie hatte Kleider in der Hand und legte sie aufs Bett, eine graue Unterhose und ein langes, weißes Nachthemd. Sie war jung. Jockel mochte sie nicht ansehen. Er drehte sich zur Seite, denn er schämte sich, dass er so stank.

    Seit ihn der Arzt untersucht hatte, fühlte er sich besser. Er hatte wieder Mut, vor allem freute er sich darauf, Amerikanisch zu lernen. To sign on , anheuern, dachte er und schielte rüber. Schwester Anneliese räumte einen kleinen Tisch auf, auf dem ein paar Schalen und Schachteln standen. Sie hatte dunkelbraunes Haar und eine gerade Nase, einen schönen Mund. Er sah nur flüchtig ihr Profil. Sie beachtete ihn gar nicht.
    Und plötzlich wusste er, an wen sie ihn erinnerte. Ein süßer Schreck durchfuhr ihn. Er duckte sich, setzte sich seitlich auf den Rand der Untersuchungsliege und wartete nervös. Als sie sich drehte, sah er wieder hin. Sie erinnerte ihn an Reni! Er spürte, wie ihm der Schreck ganz warm den Bauch hinunterkroch und ihm sofort neue Hitze durch den Körper jagte. Es fiel ihm plötzlich schwer, sich von ihr abzuwenden. Nicht dass die Krankenschwester Reni wirklich ähnlich sah, überhaupt nicht, aber sie war der Anstoß, dass er an sie dachte, denken musste. Er sehnte sich nach ihr, tief und schmerzhaft, hatte sich die ganze Zeit nach ihr gesehnt, nein, er war ausgewichen, hatte sich weggeduckt vor ihr – und vor der Wahrheit: dass er sie nicht wiedersehen würde. Vor dieser Angst. Jetzt fühlte er sie scharf und schneidend: Er würde Reni nicht mehr wiedersehen. Nicht an sie denken!, befahl er sich. Er war verliebt! Deshalb tat es so weh, die junge Krankenschwester anzuschauen!
    »Kommst du mit mir?«
    Jockel fuhr zusammen.
    »Ich tu dir schon nichts, guck nicht so ängstlich.« Sie lächelte und ging zur Flurtür, dort wartete sie auf ihn.
    Er machte Fäuste und stand vom Rand der Untersuchungsliege auf.
    »Schön langsam, Junge. Wir haben es nicht eilig. Soll ich dich stützen?«

    Er schüttelte den Kopf. Bloß keine Nähe, bevor er sich gewaschen hatte. Er folgte ihr. Sie hatte starke Augenbrauen, die ihm sofort gefielen. Ihr Gang war schön, sie wiegte vor ihm hin und her. Er roch sie auch. Und immer wieder Reni, Reni. Die er sich untersagen musste. Die er sich aus dem Herzen reißen musste, wie seine Mutter sagte. Wenn das Erwachsenwerden nur bedeutete, zu denken wie die Eltern, dann reizte es ihn überhaupt nicht, dann würde er sich weigern, sich allem widersetzen, dann kam nur Flucht infrage.
    Der Arzt kam ihnen entgegen, er hatte keine Zeit und sagte im Vorübergehen: »Ready? Everything okay?«
    Anneliese schüttelte empört den Kopf.
    Jockel hätte gerne geantwortet, aber die Luft staute sich in seinem Schlund. Er schluckte angestrengt und murmelte zu leise: »Aye, aye, Sir.« Aber da war der Arzt schon längst an ihm vorbeigegangen.
    Das Badezimmer war ein großer quadratischer Raum, der bis unter die Decke schmutzig weiß gekachelt war. Die dunklen Fugen flirrten, als Jockel ihn betrat.
    »Kommst du alleine zurecht?«
    Was für eine Frage? Jockel nahm eines der Handtücher, die am Wannenrand bereit lagen, und wartete, dass Anneliese ging. Er stellte sich einen Moment vor, wie krank er sein müsste, um ihre Hilfe anzunehmen. Er musste grinsen.
    »Na, wenn du so viel Freude hast, kann ich dich ja getrost alleine lassen.« Sie schloss die Tür.
    Jockel drehte den Schlüssel und schaute sich um. Die Fenster hatten fleckige Gardinen. Von der Decke hingen abgerissene Spinnweben herab. Das Handtuch müffelte, aber nichts von alldem störte ihn. Zu Hause gab es weder eine Badewanne noch Kacheln an den Wänden. Einmal in der Woche
wusch man sich den Hintern, das hatte er gelernt. Richtig gebadet wurde nie.
    Aus dem Wannenhahn plätscherte heißes Wasser auf den zerschundenen Emailleboden. Von heißem Wasser aus dem Hahn hatte er schon oft gehört, selber gesehen hatte er es nie. Er drückte den Stöpsel in den Ablauf, und das Wasser machte einen flachen, fast unsichtbaren Teich am Boden, der langsam tiefer wurde.

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