Blumen für den Führer
merkte, dass er sich an ihr vorbeischieben wollte. Sie versperrte ihm den Weg. Es waren kleinste Bewegungen, die reichten. Sie freute sich, dass sie den Mut gefasst hatte. Angst hatte sie trotzdem noch. Kiank blinzelte auf sie herab.
»Was denken Sie sich bloß?«, fragte sie.
»Es kommt nich darauf an, wat ick denke. Ick möchte meine Stellung behalten, verstehn Se. Wären Sie mit den Mädeln
vorsichtiger gewesen, hätten Se Haus Ulmengrund nich verlassen müssen.«
»Wie bitte?«
»Leute wie der Korff sind Quertreiber. Die haben viel Talent, den Mädeln Flöhe inne Köppe zu setzen. Der kommt überall rum mit seinem Motorrad, wie’n Zijeuner.«
Er kam nah an sie heran. Waltraut wich zurück.
»Wenn Se mir versprechen, sich nich länger mit dem Kerl rumzutreiben, sage ick Frau Misera nüscht. Ick berichte ihr, dass ick Se nich jesehen habe.«
»Sie berichten ihr?« Sie hätte lachen können.
»Der Korff hat Beziehungen zum Untergrund, jawoll.«
Jetzt lachte sie tatsächlich.
»Sie haben Monika doch aufjehetzt. Det Mädel fantasiert doch.«
»Das müssen Sie erklären«, sagte sie. »Ich habe Monika dazu aufgehetzt zu fantasieren? Wie geht denn das? Dem Kind wurde von einem Mann Gewalt angetan. Das ist alles andere als Fantasie, begreifen Sie das nicht?«
»Bah!«, rief er nur und wurde käsebleich mit roten Flecken. Er wühlte in den Manteltaschen. Waltraut wäre nicht verwundert gewesen, wenn er jetzt eine Waffe hervorgezogen hätte. Sie fand, er war diese Art Mann, die vom Krieg träumten und in ihrer Fantasie Held spielten, weil sie viel Feigheit in sich spürten.
»Herr Korff ist Zeuge gewesen, wie derselbe Mann Monika belästigte, der im Gerangel mit dem Jungen versehentlich zu Tode kam. Der Knecht Hannes.«
»Merken Se denn nich, wie der Se anlügt? Uns hat er och belogen, mich und die Misera. Det Mädel hätte ihm erzählt, ick hätte se anjefasst. Dabei war det umgekehrt, der hat se …«
Nun war Waltraut gar nicht mehr zum Lachen zumute. »Wollen Sie behaupten, Sie seien Zeuge, wie Herr Korff sich dem Mädel gegenüber …?«
»Ick habe jehört, wie die Mädel sich det erzählt haben.«
»Was denn erzählt?«
»Na, dass der olle Kerl die Finger nich bei sich lassen kann.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Och jut. Denn eben nich.«
Sie überlegte, ob sie ihn dazu bringen konnte, mit ins Krankenhaus zu kommen, um die Behauptung in Korffs Gegenwart zu wiederholen. Wenn er es tat, wie würde Korff reagieren? Sie spürte ja, dass sie schon nicht mehr sicher war, so schnell geht das! Ein einziger Satz …
»Würden Sie mit mir rüberkommen ins Krankenhaus und es ihm selber sagen?«
Er wurde wieder rot.
Sie hoffte, dass Kiank log, sie hoffte es so fest. Was würde sie tun, wenn er die Wahrheit sagte? »Bitte.«
»Nee, danke sehr, Fräulein. Der ist mir zu gefährlich. Wat denken Se denn, wenn ick den so in die Enge treibe. Se wissen schon …«
»Ich glaube Ihnen nicht, Herr Kiank.«
»Na, weil Se ma nich glauben wollen. Nee, fragen Se ihn selber!«
Er wollte wieder an ihr vorbei, aber sie blieb eisern stehen. Sie hatte jetzt die Chance, die Wahrheit zu erfahren. Aber die Wahrheit kippte vielleicht alles um!
»Sie haben Angst, det seh ick doch«, stellte er fest.
Sie trat zur Seite. Er sprang von der Stufe auf den Bürgersteig und rannte los, drehte sich ein paarmal um, ob sie ihm folgte. Dann sah sie ihn nicht mehr.
Es ist das Schlimmste, was passieren konnte, dachte sie sofort. Wie sollte sie denn jetzt ins Krankenhaus zurückgehen? Wissen Sie, Herr Korff, was dieser Mann behauptet hat? … Sie rührte sich nicht, sah die Menschen, die an ihr vorübergingen. Jeder hatte ein Geheimnis, irgendetwas, das er niemandem erzählen würde. Ihr Herz schlug schmerzhaft. Sie steckte in einer furchtbaren Klemme. Wenn Kiank log, tat sie Korff das schlimmste Unrecht an. Wenn nicht, dann würde sie nie wieder auch nur ein Wort mit ihm sprechen wollen. Auch würde sie Jockel vor ihm in Schutz nehmen müssen, wie, das war vollkommen unklar. Es war nicht auszudenken. Nein, Kiank musste lügen! Sie hatte ja auch gar kein Vertrauen zu ihm, hatte es noch nie gehabt. Weshalb also ließ sie sich von diesen Zweifeln treiben? Am Ende waren es ihre eigene Unentschiedenheit und Weichheit, die sie derart wanken ließen!
Sie konnte dennoch keinen Schritt nach vorne tun, zum Krankenhaus zurück. Zu Korff. Aber sie musste gehen, schon weil sie wissen wollte, wie es um den Jungen stand – sie musste sich jetzt
Weitere Kostenlose Bücher