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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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darin, fast fühlte sie die
Schuhe an den Füßen, fühlte den teuren, besten Stoff, die Spitzen, Knöpfe, Borten, Krägen, sah die Farben. Ihr neues, großes Leben!
    Der Vater aß ein weiteres Stück Sandkuchen. Als er fertig war, faltete er die schönen Hände und blickte streng, aber verlässlich. Wie aus edlem Holz. Sie war so stolz auf ihn. Ihr Blick fiel auf die Porträtgemälde der Familie an den Wänden. Es war schwer zu glauben, dass sie ein Teil dieser Familie war. Viele der Gesichter schauten hart und dunkel her, es waren auch Kinder darunter. Sie wirkten wie Erwachsene, ihre Blicke, ihre Haltung, ihre Kleider. Hingestellt und ausgerichtet, wie große Puppen. Was sie störte, war, dass alle seltsam traurig wirkten.
    »Du spürst, dass du im Begriff bist, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, nicht wahr?« Der Vater setzte feierlich hinzu: »Die Waise Reni Anstorm verwandelt sich in die Komtesse Renate!«
    Sie musste wieder mit den Tränen kämpfen. Das Glück war schwer. Sie schaute auf den Bücherschrank, auf die glänzenden und matten Rücken der Bände, die nach Größe geordnet waren und auf- und absteigende Treppen bildeten. Sie liebte solche Ordnung.
    »Ich habe eine Bitte«, sagte der Vater. Er sah sie an. »Wärst du bereit, eine Änderung deines Namens anzuerkennen? Eine sehr kleine, aber wichtige Änderung. Ich möchte, dass aus Renate Anstorm die Komtesse Renata wird.«
    Einen Moment war sie verwirrt.
    »Das hübsche Reni bliebe ja weiterhin möglich«, sagte er. »Aber ich glaube, Renata klänge besser. In Berlin.«
    Reni schaute noch einmal auf die Familiengemälde und Fotografien. Sie stand auf, um näher heranzugehen. Es waren
gelbliche Gesichter, in deren Zügen sie keine Ähnlichkeit mit sich fand. Sie kam zu sehr auf ihre Mutter.
    »Erzählst du mir etwas über die Familie?«
    Jetzt stand auch der Vater auf und zog sein Sakko glatt. Er zeigte auf ein Gemälde, eine alte Dame, deren Mund zwei blasse Striche waren. Die Augen waren hell und standen eng, sie blickten ungewöhnlich scharf den Betrachter an.
    »Das ist die Mutter meiner Mutter, deine Urgroßmutter. Stell dir vor, sie hat als Zwölfjährige auf dem Schoß des Geheimrats Goethe gesessen und mit seiner Brille gespielt.«
    »Er hatte eine Brille?«
    »Er war sehr eitel und zeigte sich natürlich nie damit in der Öffentlichkeit. Als deine Urgroßmutter Isabella starb, war sie zweiundachtzig Jahre alt. Ich war neun. Ich erinnere mich, dass sie erzählte, wie sie den Geheimrat neckte, indem sie seine Hausschuhe hinter das große Junohaupt in seinem Haus stellte. Er tat, als suche er sie. Oder sie versteckte sich in der Bibliothek unter einer Treppe und der Alte fegte die Bände aus den Regalen. Isabella spielte eine Maus und piepste. Er miaute oder bellte. Sein Sekretär Krause musste die Bücher aufheben und wieder einsortieren. Deine Urgroßmutter hörte, wie er murrte.«
    »Sind wir etwa mit dem Geheimrat Goethe verwandt?«
    »Über weite Bögen. Ja und nein.«
    »Aber das ist ja großartig!«
    »Es ist bewegend, Renata. Ich sage also ab heute Renata zu dir. Ich werde diese Änderung nachher dem Personal mitteilen. Ich wünsche, dass du dabei anwesend bist. Wir wollen die Form wahren, nicht wahr?«
    Reni sah dieser Unterrichtung der Bediensteten sofort mit Genugtuung entgegen. Der neue Name ging ihr durch den
Sinn, sie sagte ihn sich lautlos vor. Sie war so glücklich und fühlte sich so leicht und frei. Neugeboren, dachte sie.
    »Ich komme doch sozusagen ein zweites Mal auf die Welt, oder?«
    Er nickte zufrieden.
    »Lieber Vater, ich habe vieles meiner Tante, deiner Schwester zu verdanken.«
    Er horchte auf.
    »Aber auch sehr vieles habe ich meiner Freundin und Erzieherin zu verdanken, dem Fräulein Knesebeck, nicht wahr?« Sie suchte seinen Blick.
    Er schwieg.
    Reni fürchtete einen Moment, sie hätte ihn erzürnt. Aber dann sagte er: »Renata, ich habe dir bereits mein Wissen über diese Dame mitgeteilt. Ich würde nicht so über sie denken, wenn ich nicht die schwersten Gründe hätte. Natürlich würde ich dieser jungen Frau keinen Schaden zufügen und sie etwa bei den Behörden anzeigen. Angemessen wäre es indessen. Ich schweige nur dir zuliebe. Du überschätzt übrigens meinen Einfluss auf Frau Misera. Auch die Leiterin hatte ihre Gründe, als sie entschied, sich von Fräulein Knesebeck zu trennen.« Er wiegte den schönen, schweren Kopf und lächelte. »Jetzt lassen wir die Dinge ruhen, bist du einverstanden?«
    Reni

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