Blumen für den Führer
Fahrer.«
Der Knecht war ihr gefolgt. »Sie war im Stall, Herr Graf.«
»Ist gut, Dietrich«, rief der Vater. Er blickte zu ihr her. »Sie meldet sich bei dir.«
»Darf ich nach Haus Ulmengrund? Ach bitte!« Auch Jockel ging ihr durch den Kopf. »Nicht heute, aber vielleicht morgen oder übermorgen. Bitte, Papa! Ich mag sie sehr. Kannst du
nicht dafür sorgen, dass sie als Erzieherin dort bleibt? Frau Misera hat sich gegen sie verschworen.«
»Verschworen?«
»Ich glaube, ja.«
»Und woher weißt du das? Hat Fräulein Knesebeck es dir erzählt?« Er wartete nicht, bis sie eine Antwort gefunden hatte. »Wie willst du entscheiden, ob sie die Wahrheit sagt, wenn du nur ihre Ansicht kennst?«
Darauf hatte sie keine Antwort. Sie ging auf ihn zu und nahm seine Hand. »Entschuldigung, Papa.«
Er legte einen Arm um sie. »Kommst du bitte rein? Ich möchte dir ein paar Dinge erklären, die sehr, sehr wichtig sind, wenn wir nach Berlin fahren. Du solltest überhaupt mehr an die Zukunft und an Berlin denken als an das, was du zurücklässt, und an Haus Ulmengrund.«
»Ja, Papa. Natürlich.« Sie drückte seine Hand und nahm sich vor, ihm zu vertrauen. Auf ihn zu hören und zu lernen, was er ihr zeigen würde. Mit aller Kraft und festem Willen. Zumal jetzt, wo sie ihn duzen durfte, wie einen echten Vater eben.
»Hör mir gut zu, Renate«, sagte der Vater nach dem Mittagessen. Es würde eine »Unterweisung, von der viel abhängt« werden, hatte er zuvor erklärt.
»Wie du schon weißt«, fuhr er fort, »ist Viktoria von Dirksens Donnerstagssoiree gleichsam das gesellschaftliche Herz des Reichs. Dort wird das Blut des Volkskörpers in Umlauf gepumpt. Jede Person, der du dort begegnen wirst, spielt eine wichtige, eine historische Rolle. Ich wünsche mir, Renate, dass du von Anbeginn zu denjenigen gehörst, die mitgestalten, denen die Zukunft gehört. Das wird dir nicht gleich zufliegen, es will erlernt sein, eingeübt. Man muss die Gewohnheiten
kennen, die dort üblich sind. Wir wollen zu denjenigen gehören, die einen guten Nutzen aus allem ziehen. Willst du mir dabei helfen?«
»Ja, Papa.«
Der Vater trug seinen langen dunkelgrünen Lodenrock und schwere, knielange Lederhosen, die er für die Jagd anzog. Sie saßen im Salon. Fräulein Dohm hatte etwas Kuchen hereingebracht, aber Reni hatte keinen Appetit. Sie sah zu, wie der Vater aß und gleichzeitig sprach.
»Zum Beispiel wirst du den Chefadjutanten des Führers Wilhelm Brückner kennenlernen. Er redet leise, du musst dich immer zu ihm vorbeugen und schaust auf diese Flecken auf den Augenlidern, kleine blaue Flecken. Das sieht nicht schön aus, aber du musst lernen, dir nicht das Geringste anmerken zu lassen. Da kommen vielleicht auch einige andere Dinge, die dir unangenehm sein werden. Du brauchst Kraft und Selbstgewissheit, du bist eine Komtesse Haardt, vergiss das bitte nicht.«
»Ja«, wiederholte sie. Natürlich, dachte sie. Es ist natürlich und normal, wenn ich meinem Vater gehorche, wenn ich lerne, was er mir zeigt. Nichts ist natürlicher.
»Dann ist da noch Julius Schaub, persönlicher Adjutant des Führers, mit fast grenzenlosem Einfluss«, fuhr der Vater fort. »Und wem du ebenfalls regelmäßig begegnen wirst, ist die Schwägerin unseres Reichsministers Generaloberst Hermann Göring*: die Gräfin von Rosen. Eine langweilige Schnepfe, die ihre Blähungen nicht kontrollieren kann. Sie säuft teuren Likör wie andere Tee und unterhält in Italien ein Bataillon Schweine, die für sie nach Trüffeln wühlen. Sie läuft hinterher und juchzt vor Vergnügen, wenn die Viecher einen dieser Pilze finden. Kindisch. Aber sie verfügt über beste Verbindungen zu einigen Industriellen aus dem DHK*.«
Reni sah ihn fragend an.
»Das ist der Deutsche Herrenklub«, erklärte er, »eine außerordentlich exklusive Runde sehr einflussreicher Persönlichkeiten. Merk dir die Abkürzung DHK! Du wirst einige kennenlernen. Busenfreund der Gräfin von Rosen ist Freiherr von Schröder, der vor vier Jahren mit seinem Brief an Hindenburg* dem Führer sozusagen in den Sattel half. Famos und an Gewicht und Einfluss nicht zu überschätzen.« Er wischte mit einer großen Bewegung die Kuchenkrümel von der weißen Tischdecke. Um seinen Mund klebten ein paar, die er nicht fühlte.
Reni musste sich zwingen, nicht hinzusehen. Seine Augen hatten rote Äderchen, vor denen sie sich für einen Moment ekelte. Er war ihr Vater, ermahnte sie sich, sie durfte sich nicht ekeln. Um sich
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