Blumen für den Führer
höchsten Kreisen in Berlin vereinbart, dass eines unserer Mädchen dem Führer im Rahmen der Eröffnungsansprache einen hübschen Blumenstrauß überreichen wird.«
Waltraut wusste sofort, welchen Namen die Misera gleich nennen würde.
»Es trifft doch zu, dass Reni von den anderen Mädchen manchmal Tausendschön genannt wird, oder nicht?«, fragte die Leiterin. Ohne ein Ja oder Kopfnicken von Waltraut abzuwarten, fügte sie hinzu: »Sehen Sie mal, solche Details haben zuweilen das Ruder der gesamten Weltgeschichte herumgeworfen.« Sie lächelte milde und eigentlich ehrlich. »Reni ist nun mal außergewöhnlich schön. Jeder, der sie sieht, ist tief beeindruckt. Zuweilen macht mir das auch Sorgen, wenn ich an die Zukunft dieses Kindes denke. Umso größer ist unsere Verantwortung, nicht wahr? Vielleicht ist diese Schönheit auch ein Zeichen.«
Waltraut merkte, dass ihr Misstrauen schwächer wurde, obwohl sie die letzte Bemerkung nicht verstand. Die Misera erwartete gewiss, dass sie etwas entgegnete, also sagte sie: »Das wird Unruhe in unseren Ferienalltag tragen, glaube ich.«
»Aus genau diesem Grund werden wir die frohe Botschaft so lange zurückhalten, wie es geht. Allerdings habe ich mir ein paar Punkte überlegt, die wir doch vorbereiten sollten. Wir müssen Reni die Befangenheit und Angst ein wenig nehmen, damit nichts schiefgeht, Sie verstehen. Ein paar Tage vor der Begegnung werden ausreichen. Bis dahin vermeiden wir Gefühle wie Neid und Missgunst, denken Sie nicht auch?«
Waltraut bejahte.
»Ich weiß, dass wir uns einig sind, Fräulein Knesebeck: Wir sind beide freudig erschreckt und denken, das ist großartig für
das Kind, diese Erfahrung zu machen. Und zugleich schleichen sich Zweifel heran … ob so ein Erlebnis für eine Fünfzehnjährige …« Sie stockte. »Nein, ich sollte das nicht sagen. Aber vielleicht verstehen Sie mich …«
»Natürlich«, sagte Waltraut. Welche Zweifel waren denn gemeint? Dass es Reni überfordern könnte, weil sie noch ein Kind war? Oder waren es politische Bedenken? Waltraut würde lieber nicht auf die Frage antworten wollen, ob sie selbst eine solche Begegnung gewinnend erleben würde oder nicht.
»Ich meine, wenn wir selber dort …«, sagte die Leiterin prompt. »Was würde unsereins empfinden?«
Unsereins. Als würden sie einmal pro Woche gemeinsam Tee trinken und über Gott und die Welt plaudern.
»Oh, das weiß ich wirklich nicht«, antwortete Waltraut. Für einen Moment dachte sie an eine Falle, die ihr gestellt wurde. Aber das war sicher Unsinn!
»Bestimmt erschrecke ich Sie mit diesen Dingen, es tut mir leid«, sagte die Misera und bot Waltraut Kaffee an. Er sei fertig gebrüht.
Waltraut dankte etwas steif, beinah ermüdet. Sie fühlte sich auf sonderbare Weise besiegt. Die Leiterin stand lächelnd auf, um das Tablett zu holen.
Neuyork
D er Vater stach die Gabel in eine der gekochten Kartoffeln auf seinem Teller, drehte sie in der dünnen braunen Soße und führte sie zum Mund. Biss ab und kaute. Er stierte Jockel an.
»Da, dein Bruder!«, sagte er mit vollen Backen. »Der spinnt genauso mit seiner Seefahrt, obwohl er älter ist als du und eigentlich vernünftig sein müsste. Schlag dir das mit dem Fliegen aus dem Kopf!«
Jockel schaute zu Helmuth über den Tisch. Der blickte nicht hoch, sondern stocherte in seinem Teller, ohne zu essen.
»Soll er doch abhauen«, schimpfte der Vater weiter. »Aber dann soll er sich nie wieder hier blicken lassen, sonst steck ich ihm nämlich höchstpersönlich die Mistgabel in seinen Wanst.« Er sah seine beiden Söhne an. »Ich schwöre es beim Grab meiner Eltern.«
»Hermann!«, flüsterte die Mutter.
»Sei du still!« Er aß weiter.
Jockel schielte zur Mutter. Sie hatte Angst vor dem Alten. Helmuth, der schon neunzehn war, bewegte keinen Muskel im Gesicht. Er war längst größer als der Vater und bestimmt viel stärker. Aber er hatte trotzdem Schiss vor ihm.
Sie schwiegen.
Draußen kläfften die Hunde wie wild. Das Geräusch klang durch das halb geöffnete Küchenfenster und erstickte unter der niedrigen, verrauchten Dielendecke. Zwischendurch klackte das Besteck auf den Steinguttellern. Jockel sah auf die von der
Sonne gebräunten, ledernen Hände des Vaters, die ihn so oft geschlagen hatten.
»Der Mann, der die Segelflieger ausbildet, heißt Doktor Georgii und ist von der Universität«, sagte Jockel, obwohl er wusste, dass es Ärger geben würde.
Der Vater sah ihn an. Eigentlich nicht böse, aber
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