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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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mürrisch.
    »Man kann von dort sogar zum Militär«, fuhr Jockel fort. »Zu den Fliegern. Da werden bald viele gebraucht.«
    »Zum Totschießen, was sonst?«, brummte der Vater. »Wenn du wüsstest, was du sagst. Dieser sogenannte Friedenskanzler ist auch nur ein Schwätzer wie alle anderen. Wahrscheinlich hält er die Hand auf und die hohen Herren legen ihr Almosen hinein, damit er den Welterlöser spielen kann. Alles Verbrecher.«
    »Hermann!«, sagte die Mutter wieder.
    »An der Schwarzerdener Hecke werden heute Nachmittag die Kohlrabi und Mohrrüben gejätet. Der Bauer hat die Mädel aus dem Heim angefordert, vielleicht sind sie schon dort. Nach dem Essen geht ihr beide rüber und helft mit. Ich muss mit Schlömer zum Grafen.«
    »Mit dem Bauern zum Herrn Grafen?«, fragte die Mutter erschrocken. »Ist was?«
    Der Vater aß die letzten zerkleinerten Kartoffeln auf seinem Teller und schmiss die Gabel hin.
    Jockels Stimmung war umgeschwenkt. Er sah sofort das Mädchen vor Augen, das er vor anderthalb Wochen auf dem Feld gesehen hatte. Bestimmt hatte sie sich erschreckt, weil er nur dagestanden hatte und gestarrt. So ganz dämlich. Sie glaubte sicher, er sei nicht ganz bei Trost. Sie hatte einen braunen Kittel für die Feldarbeit getragen, aber auf dem Kopf ein breites blondes Haarnest unterm Tuch. Alles an ihr hatte ihm
sofort gefallen. Sehr sogar. Besonders ihre Augen, das Gesicht. Freilich hatte er was zu ihr sagen wollen, aber vor Schreck war ihm nichts eingefallen. Er hatte auch ein bisschen Angst gehabt. Seltsam, dass er sie noch nie gesehen hatte bei den vielen Feldeinsätzen während der Ferien. Er hatte nur so dagestanden und geglotzt. Dann war er schnell wieder zu seiner Furche zurückgerannt, um weiterzuarbeiten, weil der Vater in der Nähe war.
    Diesmal würde der Alte nicht dort sein, überlegte Jockel. Er nahm sich vor herauszufinden, wie sie hieß, und später, auf dem Weg zu den Feldern, würde er sich überlegen, was er Gescheites zu ihr sagen könnte. Bestimmt ging sie in Fulda aufs Gymnasium.
    »Hast du mir zugehört? Ich sage das bestimmt nicht noch mal: Schlag dir die Wasserkuppe aus dem Kopf, hast du verstanden!« Der Vater stand auf und verließ die Küche.
    Jockel half der Mutter beim Abräumen. Helmuth blieb am Tisch sitzen, als hielte ihn jemand auf seinem Stuhl fest.
    »Ich hasse ihn«, sagte er und blickte zur Mutter, die Wasser aus einem Eimer in das Steinbecken schüttete. Sie ging zum Herd, nahm den großen Kessel und ließ heißes dazulaufen, prüfte mit der Linken die Temperatur. Dann trug sie den Kessel zurück.
    Plötzlich blieb sie stehen. »Wenn du von hier weggehst, habe ich doch niemanden mehr und bin allein mit ihm.«
    »Und ich?«, fragte Jockel.
    »Du bist erst fünfzehn«, antwortete sie.
    Helmuth sagte: »Dann gehst du eben auch weg, Mutter.«
    »Ach, du glaubst, dass das so einfach ist, ja? Eine Frau alleine. Wo soll ich denn hin? Auch nach Hamburg auf einen Dampfer und ab in die große, weite Welt?« Sie weinte. Legte
die Teller und das Besteck in das dampfende Wasser. Fingerte mit zittrigen Händen etwas Laugenpulver aus einem Einweckglas und streute es dazu. »Dein Vater hat gar nicht unrecht. Wir sind Landarbeiter und Knechte und gehören hierher. Wir haben zu essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Wenn ihr unbedingt die ganze Welt sehen müsst, dann wartet, bis wir tot sind.« Sie schniefte.
    Jockel ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Arm. »Es ist aber nicht mehr alles wie früher, Mutter. Du siehst doch auch, dass sich etwas verändert. Da muss eben jeder tüchtig mithelfen und etwas tun. Überall, auf Dampfern auf dem Meer und bei den Fliegern …«
    »Wir tun genug.«
    »Ja, aber alles entwickelt sich weiter, die Technik …«
    »Wir brauchen hier keine Technik und das Meer ist weit weg. Wenn man Kinder hat, die groß geworden sind, ist man froh, dass jemand da ist, wenn man nicht mehr kann. Davor hat Vater Angst und das wisst ihr genau.«
    Sie hatte natürlich recht. Hinzu kam, dass ihr das Fliegen schreckliche Angst machte, und es passierte ja auch viel.
    Helmuth stand ebenfalls vom Tisch auf und gab seinem Bruder ein Zeichen. Sie gingen in den Hof, holten zwei Unkrautstecher und füllten einen Krug mit abgekochtem, kaltem Wasser. Die Mutter schaute traurig zum offenen Fenster heraus, als sie durch das Tor gingen. Aber sie hatte wenigstens wieder trockene Wangen. Jockel winkte zurück.
    Am Himmel standen vereinzelte Quellwolken. Jockel wusste, dass

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