Blumen für den Führer
uns nach dem Zubettgehen durch die Küche in den Hof.«
»Die Hunde werden anschlagen«, sagte Jockel und spähte zu den Feldern.
»Schisser! Ich mach’s allein, ich kann den Alten nicht mehr ertragen.« Helmuth spuckte aus. »Dann mach dich wenigstens in Richtung Wasserkuppe dünne, sonst vergammelst du beim alten Schlömer, glaub mir. Gesinde ist Gesinde und macht Gesinde aus den eigenen Kindern.«
Die Mädel waren jetzt recht gut zu unterscheiden. Sie standen im Kohlrabifeld. Die Schöne trug kein Kopftuch, das Haar war geflochten und die dicken Zöpfe machten ein großes Nest auf ihrem Kopf.
Die Ersten blickten her. Eine rief etwas und alle drehten sich herum, auch sie . Unter ihnen war eine Erzieherin, sie trug einen blauen Kittel über ihrem Kleid. Die Mädel trugen graue Hemden und lange graue Röcke.
Die Erwachsene klatschte in die Hände. »Aber bitte, bitte, meine Damen!«
»Ich trag den Wasserkrug«, sagte Jockel zu Helmuth und schlug den Weg dorthin ein, wo die Schöne stand. Der Bruder ging auf das Mohrrübenfeld zu, um dort mit der Arbeit zu beginnen.
»Überleg es dir!«, rief er herüber, als sie schon ein Stück auseinander waren. »Denk an Amerika!«
Jockel nickte.
Als er den Kohlrabifeldrand erreicht hatte, drehte sich das Mädchen plötzlich nach ihm um. Sein Mut fiel zusammen wie ein Spielzeughäuschen aus trockenen Zweigen. Einen Moment blieb er stehen, dann betrat er die Furche, in der sie jätete. Sein Herz schlug wild, er stakte über das halbhoch gewachsene Grün. Die Schöne hatte sich wieder abgewendet und arbeitete weiter. Die Erzieherin hatte Jockel in den Blick genommen, sagte aber nichts. Ein paar der anderen Mädchen drehten sich um, und eine rief: »Reni!«
So hieß sie also – Reni!
Er blieb stehen und versuchte, diesmal nicht zu starren wie ein Idiot. Es kam ihm vor, als sei sie noch viel, viel schöner, als er es erinnerte. Ihr Haar glänzte in der Sonne, als wäre es wirklich golden. Jockel holte Luft, aber da würde keine Stimme aus ihm hervorkommen, das merkte er rechtzeitig und schluckte ein paarmal. Dann hob er den Krug ein Stück in die Höhe und schaffte es endlich.
»Möchtest du trinken?«
Alle schauten her. Wenn die Erzieherin jetzt fragte, warum er nicht Wasser für alle dabeihabe, würde klar werden, dass er nur das eine Mädel meinte. Aber das wussten sie alle sowieso schon. Ein Blinder hätte es gesehen. Er drehte den Kopf zur Seite und blickte hinüber zu Helmuth, der ebenfalls stehen geblieben war und vielleicht staunte. Weil ihm soeben klar wurde, dass sein Angebot ins Leere ging. Nicht im Traum würde der kleine Bruder mit ihm nach Hamburg abhauen und über den Atlantik oder sonst wohin.
»He, junger Mann! Wir sind ganz viele und haben alle Durst«, rief die Erzieherin mit heller Stimme. Ein paar der Mädel lachten.
Klipp und klar
D er Grund, warum ich Sie gebeten habe, zu mir auf das Gut zu kommen«, sagte Ferdinand Graf Haardt zu Frau Misera, ohne sie wirklich anzusehen, »ist dieses Kind, dieses Mädchen, Sie wissen schon …« Dann deutete er auf Waltraut. »Ist diese junge Dame Ihre Stellvertreterin oder warum ist sie mitgekommen?«
»Das ist Fräulein Knesebeck, Herr Graf«, sagte die Leiterin. »Eine unserer Erzieherinnen. Sie kennt das Mädchen gut.«
Der Graf überragte sie beide fast um Kopfeslänge. Er war eine schlanke, durchaus imposante Erscheinung; sein fünfzigster Geburtstag war vor ein paar Jahren angemessen gefeiert worden. Er murmelte etwas, ohne Waltrauts angedeuteten
Knicks zu beachten, und wies auf die Sesselgruppe unter einem himmelhohen Fenster, das den Blick in einen parkähnlichen Garten freigab. Der Raum war kühl und hatte mindestens die Größe des Schlafsaals in Haus Ulmengrund.
Waltraut war nie zuvor hier gewesen und war nach wie vor verwundert, dass die Leiterin auf ihre Begleitung bestanden hatte. Es gab nichts, was Waltraut über ihre Kolleginnen erhoben hätte. Ihr war es nicht angenehm, hier zu sein, und es kränkte sie, dass der Graf tat, als kennte er sie kaum, obwohl er ihr bei jedem seiner Besuche in Haus Ulmengrund wie allen anderen die Hand gab.
Es ging um Reni und ihre Begegnung mit dem Führer bei der feierlichen Eröffnung der Olympischen Sommerspiele. Vor der gesamten Weltöffentlichkeit , erinnerte sich Waltraut, das hatte schon bei dem Gespräch am Vortag tiefen Eindruck in ihr hinterlassen. Und das Kind, um das es ging, war momentan noch völlig ahnungslos, was ihm bevorstand.
»Man hat
Weitere Kostenlose Bücher