Blumen für den Führer
der Hausmeister. Sie warf die Bluse auf das Bett.
»Ich bin im blauen Schlafsaal!«, rief sie. Kianks Schritte wurden hörbar. Waltraut tat, als prüfte sie die Schränke, hob Kissen und Decken hoch.
Er tauchte in der offenen Tür auf.
»Also Frau Misera hetzt ma seit heute Morjen durch det janze Haus!«, berlinerte er. Er war bei seinem Aufstieg in den zweiten Stock außer Atem geraten. »Dabei wissen wa doch alle, wat los ist. Der kommt rinn, rennt überall umher, und schwups issa wieder weg.«
»Vom wem reden Sie, Herr Kiank?«, fragte Waltraut und schloss ihre Kontrolle ab, indem sie überall Ordnung machte, ein bisschen genauer, als es die meisten Mädchen taten.
»Der Herr Graf kommt morjen Mittag, det wissen Se doch«, erklärte der Hausmeister, als hätte Waltraut es vergessen.
Aber sie hörte es zum ersten Mal. Was Hausmeister Kiank wusste, musste jeder wissen; der Gedanke, dass andere Menschen einen anderen Begriff von der Welt hatten als er, war ihm fremd.
»Die Erfahrung sacht ma«, fuhr er fort, »dass der Herr Graf zwar nüscht sacht, wenna durchs Haus rennt, aber der merkt allet, wenn also det Licht im Keller nur zur Hälfte brennt, wenn die Steine in der Jartenmauer noch immer unverputzt sind, wenn nur die Fenster im Parterre jestrichen sind und oben nich. Hundert kleene Sachen, für die man eben nie richtig Zeit hat. Aber jetzt rennta hier rinn und sieht jede Kleinigkeit, und ick bin schuld, wer denn sonst?« Er hatte ein Stück Fußleiste mitgebracht, stellte es an die Wand und holte Nägel und einen Hammer aus seinem Kittel. »Ick meine ja nur, die Heimleitung hätte ma wirklich früher vorwarnen können, finden Se nich?«
»Ja«, sagte Waltraut und musste es sofort zurücknehmen. »Nein, es kann diesmal sein, dass Frau Misera wirklich nicht früher wusste, dass der Herr Graf kommt.«
Er lachte kurz, kniete sich hin und passte die Leiste in die Stelle ein, wo ein Stück dieser Länge fehlte. »Wat globen Se, wie oft ick det erlebt habe? Ich will nich hoffen, dass Frau Misera mir mit Absicht …«
»Es gibt diesmal einen besonderen Grund, Herr Kiank, glauben Sie mir. Es hat nichts mit Ihnen zu tun.«
»So«, sagte er erstaunt und blickte kurz zu ihr hoch. Dann steckte er sich Nägel zwischen die bleichen Lippen, drückte die Leiste mit dem linken Handrücken gegen die Wand und hielt mit Daumen und Zeigefinger einen Drahtstift fast senkrecht
auf das Holz. Er heftete den Nagel mit ein paar leichten, gefühlvollen Schlägen an, ein etwas stärkerer folgte, ein zweiter noch, und schließlich trieb er den Nagel mit drei entschiedenen Treffern durch die Leiste in den Putz.
»Der Herr Graf sacht ja nüscht, aber er denkt sich sein Teil.« Wenn er lachte, sah sie seine schlechten Zähne. Er war höchstens vierzig, schätzte sie; allerdings hatte er eines die – ser Gesichter, die das Alter verschleiern, schon in der Jugend den Erwachsenen erkennen lassen und als Erwachsene dennoch kaum gealtert wirken.
»Jut gesonnen ist mir Ihre Frau Misera nich«, sagte er. »Nich ma, dett se meckert. Aber se hat so wat in ihrer Stimme.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Waltraut versöhnlich. »Das Haus ist in einem guten Zustand und das haben wir Ihnen zu verdanken.«
Er dankte ihr, schlug noch zwei Drahtstifte in das Brett und wuchtete sich schnaufend auf die Beine.
»Na, so janz bejeistert sind Se doch och nich von ihr«, antwortete er wie nebenbei. »Ich kriege doch mit, wenn se ihre Bemerkungen jejen Sie abschießt … und nich nur jejen Sie, wa?« Er machte eine wellige Bewegung mit der flachen Hand. »Nee, nee, ick bin schon froh, dass nich die Misera meine Arbeitjeberin ist, sondern der Herr Graf. Bei Ihnen ist det ja anders. Ick möchte nich in Ihrer Haut stecken.«
Waltraut wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie war mit der Arbeit fertig und ging zur Tür, blieb dort aber stehen.
Bevor sie etwas antworten konnte, sagte Kiank halblaut: »Sie wissen, dass det Fräulein Kaul jehört haben will, dass die Misera jetzt inne Partei iss, wa? Janz frisch. Ob dett nu stimmt, wees ick nich.« Er verstaute den Hammer und die restlichen Nägel in seiner Kitteltasche und nickte ihr zu. »Ja,
ja«, fügte er mit dem Unterton der Bestätigung von etwas Unerwartetem hinzu.
Sie ließ ihm den Vortritt.
Er ging an ihr vorbei in den Hausflur zur Treppe. »Na, Ihnen kann man ja vertrauen, Fräulein Knesebeck. Und wem traut man heute noch, wa?«
Sie folgte ihm. Plötzlich drehte er sich um und flüsterte:
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