Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel

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Wäldchen lag. Darüber segelte ein Flugzeug. Es war ein friedliches Bild. Das Flugzeug machte kein Geräusch, oder doch, es surrte leise, säuselte, ein Wolkenzauberdrachen mit Insektenflügeln, darin sah man das Gebein, die Sonne schien hindurch.
    Jetzt schauten viele rüber. Der Segler war näher gekommen. Er flog nicht hoch und kreiste wie ein Vogel. Das Surren wurde deutlicher und veränderte sich, je nachdem wie das Flugzeug in der Luft lag, ob es eine Kurve flog oder geradeaus. Jetzt sah man den Kopf des Piloten, vor seinem Gesicht befand sich eine kleine Scheibe auf dem Rumpf.
    Es säuselte und summte – wie eine Seele auf dem Weg zum Himmel, dachte Reni und erschreckte sich vor dem Vergleich. Ihr wurde flau. Das Flugzeug stieg nicht, es blieb auch nicht in der Höhe, die es hatte. Es kreiste langsam tiefer. Aber warum? Es sollte hoch, es sollte zu den Wolken, oder nicht? Sie sah sich um. Der Junge mit dem Krug schirmte die Augen. Der Gleiter machte einen weiten Bogen und kam herangeflogen, querte das Wäldchen und glitt über das Feld davor, nicht höher als die höchsten Wipfel.
    »Er landet«, rief der Junge, der Jockel hieß. »Keine Warmluft mehr gefunden. Dann muss er runter.«
    »Stürzt es ab?«, fragte Fräulein Kaul, die Erzieherin.
    »I wo.«
    Das Flugzeug segelte ein Stück dicht über dem Boden, dann
senkte sich sein Sporn herab, es kratzte, polterte, die Kufe glitt aufs Gras. Das Flugzeug rutschte ein paar Meter und hielt an. Die linke Flügelspitze tippte auf die Erde und es blieb schief und mäuschenstill auf der Wiese liegen. Alle schienen starr vor Schreck und Verwunderung. Die Ersten ließen ihre Unkrautstecher in die Furche fallen und rannten los.
    Der Junge ging nicht weg. Er blickte her.
    Reni tat keinen Schritt. Während die anderen zu dem Flugzeug liefen und ihnen schließlich auch Fräulein Kaul folgte, kam der Junge langsam auf sie zu. Sie kriegte Angst. Ein paar Meter vor ihr blieb er stehen und blinzelte.
    »Ich heiße Jockel.«
    Er machte die Augen wieder auf und schaute sie mit hellem Blick an. Was für braune Haut er hatte! Bestimmt von all der Sonne bei der Feldarbeit. Der halbe Neger! Er trug ein abgewetztes Hemd und eine knielange Hose aus grobem grauen Stoff. Seine Schuhe waren schmutzig, aber auch ihre eigenen waren lehmverschmiert.
    »Dem da geht es gut«, sagte er und nickte zu dem Flugzeug. »So ein Gerät kann auf jeder Wiese landen, auf jedem Acker, ganz egal, muss es ja können.« Er lächelte.
    Reni lächelte kurz zurück, ein bisschen gekünstelt, das spürte sie. Ihr war klar, dass sie nah daran war, die eingebildete Gans zu spielen. Nur wusste sie im Moment nicht, wie sie da herausfinden sollte.
    »Es ist wie auf einer Rolltreppe«, sagte der Junge.
    Jetzt musste sie wirklich lachen. »Was?«
    »Eine Rolltreppe.«
    »Was ist denn eine Rolltreppe?«
    »Eine fahrende Treppe, mit der du in das nächste Stockwerk kommst. So etwas gibt es in Köln.«

    Reni schüttelte ungläubig den Kopf. »Du warst schon mal in Köln?« Noch weniger glaubte sie ihm, dass es fahrende Treppen gab.
    »Nein, ich habe es gelesen. Du stellst dich auf die unterste Stufe und die Treppe bewegt sich nach oben, du musst keinen einzigen Schritt tun.«
    »Glaube ich nicht«, sagte Reni. Sie wusste gar nicht, was er ihr überhaupt sagen wollte. Dieser Jockel war verrückt, das hatte sie schon bei der ersten Begegnung vermutet.
    »Ich will damit erklären, wie das mit dem Flugzeug funktioniert, das keinen Motor und keinen Propeller hat und trotzdem bis zu den Wolken kommt. Wenn du auf einer Rolltreppe nach oben fährst und dabei langsam wieder nach unten gehst, kommst du trotzdem ins nächste Stockwerk, weil sich die Rolltreppe schneller nach oben bewegt, als du nach unten gehst.«
    Reni wusste immer noch nicht, wovon er redete. »Das Flugzeug fährt mit der Rolltreppe in den Himmel?«
    »Ja«, sagte er, und jetzt war klar, dass er verrückt war.
    »Die Rolltreppe, das ist die warme Luft, die vom Erdboden in den Himmel steigt. Warme Luft steigt in kühlerer nach oben, das lernst du in Physik auf dem Gymnasium.«
    Sie wurde nicht schlau aus ihm. »Du gehst aufs Gymnasium?«
    »Nein.«
    Sie musste lachen. Es schien ihn nicht zu stören. »Wenn das Flugzeug in der warmen, aufsteigenden Luft fliegt, wird es nach oben getragen, obwohl es eigentlich, durch sein Gewicht und weil es keinen Motor hat, zur Erde gleitet. Aber die warme Luft steigt eben schneller. Genau wie die Rolltreppe.«
    »Ach so«,