Blumen für den Führer
unseren Helfern und mir das Gefühl schenken, es lohne sich, unbeirrt weiter für das Gute zu kämpfen. In den stillen Stunden nachts, wenn mich die Sorgen wachhalten, sind mir Menschen wie Sie und Ihre Freunde in Berlin ein großer Trost. Gott hat das Gute in unser Herz gelegt; und er sorgt dafür, dass diese Pflanze wächst. Menschen wie Sie machen mich froh, weshalb ich mich auf diesem Wege bei Ihnen bedanken möchte für die große Hilfe, die uns auf Ihre Veranlassung hin durch die Berliner Präsidialkanzlei auf dem Seewege gebracht wurde. In seinem Brief hat uns der Führer und Reichskanzler seinen Besuch in Aussicht gestellt. Die Bedeutung einer solchen Geste ist für Lambarene gar nicht zu überschätzen. Deshalb sende ich Ihnen noch einmal meinen ausdrücklichen Dank und verbleibe mit großer Verbundenheit Ihr Doktor Albert Schweitzer.«
Reni faltete das Blatt zusammen.
Graf Haardt stand mit dem Rücken zu seinem Schreibtisch und hatte die Hände ineinander gelegt. Er wandte sich zu ihr.
»Ich muss sagen, mein Kind, du verblüffst mich. Nein, ich bin sogar beschämt. Es fällt mir schwer zu glauben, dass du diesen Brief wirklich ohne fremde Hilfe ausgedacht und aufgeschrieben
haben willst. Natürlich glaube ich dir das. Es klingt alles durchaus reif und erwachsen, um nicht zu sagen lebenserfahren, wobei man fragen möchte, woher diese Erfahrung rührt. Du liest viel, nicht wahr?«
Reni nickte und schaute verlegen auf das Papier in ihrer Hand. »Viele Bücher wurden mir von einer unserer Erzieherinnen ans Herz gelegt. Diejenige, von der ich sagte, dass ich ein bisschen ihre Freundin sei.« Sie lächelte flüchtig. »Leider hat es zwischen ihr und unserer Leiterin Frau Misera ein Missverständnis gegeben, und ich habe Angst, dass wir Fräulein Knesebeck verlieren. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht Ihren Einfluss geltend machen können, um das Zerwürfnis aus der Welt zu schaffen. Es wäre ein so wunderbares Geschenk, und ich spreche auch im Namen meiner Kameradinnen, aller Kinder in Haus Ulmengrund.«
Der Vater schien zu nicken. Er drehte sich halb um und nahm einen Zettel vom Schreibtisch. »Wie du siehst, habe ich mir ein paar Gedanken darüber gemacht, was wir in Berlin zu beachten haben. Ich glaube, bis Fräulein Dohm uns zum Frühstück ins Esszimmer hinüberbittet, haben wir noch etwas Zeit.«
Er bat sie, in einem der Sessel Platz zu nehmen, setzte sich ihr gegenüber und schien eine Weile zu überlegen, bevor er weiterredete.
»Sicherlich muss ich dir nicht erklären, dass man einen Lebensweg frühzeitig in die richtigen Bahnen lenken muss.« Er zögerte einen Moment. »Ich möchte mich bei dir in aller Form dafür entschuldigen, dass ich den Beginn dieses Weges meiner Schwester überlassen habe. Allerdings wissen wir, dass sie es offenbar besser gemacht hat, als ich es je hätte zustande bringen können. Erziehung ist nicht Männersache, Bildung
dagegen schon. Aber auch dort wurde bereits erstaunliche Vorarbeit geleistet, wie wir soeben hören konnten. Wenn ich von nun an also am Gebäude deines Wissens weiterbaue, dann tue ich dies mit dem größten Respekt vor denjenigen, die das Fundament legten, und ich will sehen, was ich ausrichten kann, um deinem Wunsch zu entsprechen.« Er sah sie freundlich an.
Reni dankte ihm.
Sie war am frühen Morgen gerne aufgestanden, weil sie sich auf die Fahrt im Einspänner gefreut hatte. Als dann der Fahrer des Grafen mit dem Automobil vorgefahren war, war sie überrascht, aber keineswegs enttäuscht gewesen. Worüber sie verwundert war, betraf ein anderes Geräusch, das sie zuvor im Bett gehört hatte: Brot-Korffs lärmendes Motorrad. Da war es noch dunkel gewesen, und sie war sofort wieder eingeschlafen, sodass sie auch jetzt noch nicht sicher war, ob dieses Knattern nicht doch bloß eine Täuschung oder gar ein Traum gewesen war.
»Ich glaube, es ist nicht richtig, wenn Sie sich bei mir entschuldigen, Herr Graf.« Fast hätte sie lieber Vater gesagt. »Es macht mich verlegen.«
»Du wirst eines Tages verstehen, Renate, dass diese Entschuldigung unverzichtbar ist«, sagte der Graf. Und etwas leiser fügte er hinzu: »Ich habe deiner Mutter wehgetan. Sehr wehgetan.«
Am liebsten hätte sie jetzt losgeheult. Jeder wäre tief gerührt. Aber sie verbot es sich und antwortete: »Ich habe mir die Fotografie meiner Mutter sorgfältig angesehen. Ich werde sie immer bei mir tragen. Sie hat ein gütiges Gesicht, und ich bin sicher, dass sie unter Ihrer
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