Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
Vom Netzwerk:
helle Saum, gleich darunter floss der Bach. Er hieß Weißer Koll, und darin lebten Rotaugen, die man fangen und am offenen Feuer braten konnte. Das hatten Helmuth, Siggi und ein paar andere Jungen oft getan, die ihn,
Jockel, nicht hatten bei sich lassen wollen, weil er zu klein und ängstlich war. Der Hosenschisser. Weil er wegrannte, wenn sie »die Franzosen« überfielen, so nannten sie die Jungen aus Maiersbach, die oft nicht bloß mit trockenem Lehm, sondern mit Steinen schmissen und sogar Messer hatten.
    Die Hunde kläfften weiter.
    Jockel lief auf den Hang hinaus, nach unten, sprang in den Bach und war sicher, dass die Hunde ihn nicht finden würden. Er schöpfte mit den Händen Wasser und trank gierig. Dann folgte er dem Bachlauf ein Stück, blieb hinter einer Biegung stehen und horchte. Hier hatten sie »die Engländer« geschlagen, die aus Obernhausen. Einer ihrer Feinde war damals unglücklich gestürzt und landete im Krankenhaus. Ein anderer wurde von seinem Onkel windelweich geprügelt, weil er mit dessen Karabiner mit aufgesetztem Bajonett auf dem Schlachtfeld erschienen war, obwohl der Onkel es verboten hatte.
    Erst als er aus dem Wasser stieg, merkte Jockel, wie sehr ihm Nässe und Kälte zusetzten. Er hörte keine Hunde mehr. Die Kälte kroch so schnell und schneidend in ihm hoch, dass er kaum weiterlaufen konnte. Er zitterte heftig, bis in die Arme hoch, bis in die Hände, bis ins Gesicht hinauf, sodass er sich hinhocken musste, schutzlos mit einem Mal, weil weder Bäume noch Strauchwerk in der Nähe waren. Sein Mut versiegte gänzlich. Es war wie in den Kinderschlachten, wenn er davongelaufen war oder sich einfach hatte fallen und gefangen nehmen lassen.
    Ihm war übel vom Hunger. Während er dagegen ankämpfte, spürte er, dass er zu schwach geworden war, noch einmal aufzustehen. Die Beine schienen leblos, seine Füße waren taub. Nur sein Verstand fand keine Ruhe. Wie es wohl
wäre, wenn er beten könnte? Als Kind hatte es geholfen. Schon lange glaubte er nicht mehr, dass Gott ihn hörte. Gott war ungerecht, weil er kein guter Vater war. War ein Vater, der sein Kind im Stich ließ, überhaupt ein Vater?
    Jockel ließ sich ins feuchte Gras fallen. Er wusste, wie gefährlich das war. Einerlei: Der Vater ist kein Vater, er selbst ist nicht länger dessen Sohn. Nur um die Mutter tat es ihm unendlich leid.
    Ein Schuss knallte von schräg hinten und warf Echos übers Land, als wäre diese Gegend von Wänden eingegrenzt. Jockel spähte um sich, viel zu müde, um zu fliehen. Die Luft war fest wie Brei; er hätte sich hindurchessen müssen wie im Märchen; er hätte sie mit schweren Säbeln teilen und einen Tunnel hauen müssen, um auch nur ein paar Schritte von hier fort zu tun.
    Woher würde der zweite Schuss kommen? Der ihn gewiss treffen würde. Vielleicht töten. Hoffentlich schnell und schmerzlos. Niemand war zu sehen, auch bellten keine Hunde. Eine rätselhafte Stille entstand, in der es plötzlich wieder knallte. Lauter, näher. Es knatterte entfernt. Dann lange gar nichts.
    »He, Junge!«
    Er fuhr zusammen. Schaute hoch. Am Saum der Wiese stand ein Mann.
    »Was machst du da?«
    Jockel hatte weder Kraft noch Luft in seinen Lungen.
    »Bleib da, ich komme runter.« Der Mann setzte sich in Bewegung. Aber er hatte kein Gewehr. Gar nichts hatte er. Als er über ihm stand – groß, dunkel, älter als Jockels Vater, wie es schien -, da sagte er: »Ich weiß ja, wer du bist. Oben steht mein Motorrad, und das hat einen Beiwagen, da passt das
Brot für sechzig Mädchen und ein paar Erwachsene hinein. Wenn das Brot reingeht, passt du erst recht. Was sagst du, willst du mit?«
    Jockel schwieg. Weil er immer noch kaum Luft hatte und weil er auch gar nicht verstanden hatte, was der Mann meinte. Er starrte hoch und zog alle Luft in sich zusammen. »Wer sind Sie?«
    »Wenn du deinen Kopf in die Welt steckst, schießen sie ihn ab. Sie suchen überall nach dir. Also kommst du?«
    Der Fremde drehte sich um und stampfte die Wiese hoch.
    Jockel blickte ihm nach. »Vielleicht bin ich schon erschossen worden!«, rief er und kriegte plötzlich wieder Luft.
    »Ja, sicher, ganz bestimmt«, sagte der Mann und zeigte hoch, vermutlich auf das Kraftrad, von dem er geredet hatte und das Jockel noch nicht sehen konnte, weil es weiter oben stand.
    Er stemmte sich hoch und kroch wie ein Hund die Wiese hinauf. Als er nach oben schaute, konnte er den Lenker sehen. Gott fährt Motorrad, dachte er und musste lachen.
    »Darf ich mal

Weitere Kostenlose Bücher