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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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Ein Busenfreund des Bruders ist der Sohn ebenjener Frau, deren Wohnung in Schwarzerden man durchsuchen musste. Man hat dort Schriften vorgefunden, gewisses Material, das Schlimmes ahnen lässt.«
    Reni erschreckte sich. Sie war enttäuscht, dass ausgerechnet Jockel dieser Vorwurf traf. So etwas rückte ihn noch weiter von ihr fort. Es war so traurig, dass sie an ihn denken musste und es im Grunde gar nicht durfte. Aber die Gefühle widersetzten sich dem Kopf.
    »Es scheint«, fuhr der Vater fort, »dass sich die beiden Freunde in den Norden verdrückt haben, womöglich nach Bremen oder Hamburg, um dort neue umstürzlerische Zellen zu bilden. Selbstverständlich wurde die Mutter verhaftet und verhört. Dieser Mörderbengel jedenfalls ist noch auf freiem Fuß.«
    Reni war betroffen und unsicher, was sie denken oder sagen sollte. Sie aß weiter das leckere Brot, während der Vater das Ei auslöffelte, zwischendurch Salz aufstreute und derweil schwieg.
    Dass sie Jockel auf ihrem gestrigen Nachhauseweg gesehen hatte, mochte sie nicht erzählen. Zumal wohl auch der Fahrer oder Kutscher des Grafen bisher noch nichts davon berichtet hatte.
    Sie empfand jetzt Stolz, dass ihr der Vater diese Dinge anvertraute und sie in etwas einbezog, das gewiss Familienmitgliedern vorbehalten war: die Sorge um den Besitzstand und die Anteilnahme an Entscheidungen der Stadt und der Gemeinden.
    »Weißt du, Reni, ich kann mir gut vorstellen, dass das alles recht befremdend auf dich wirken muss. Aber du bist eben
sehr klug und deshalb weihe ich dich ein. Du solltest vielleicht zwei Dinge beachten. Erstens ist unsere Familie nicht wie jede andere. Wir empfinden eine große Verantwortung und Verpflichtung dem Haus, dem Namen, aber auch dem Gemeinwesen gegenüber. Darum richten wir unser Interesse auch auf Berlin und die dortigen Vorgänge, die unser Vaterland betreffen.«
    Reni war überzeugt, dass er ein ebenso guter Mensch war wie der Doktor Schweitzer oder der Führer in Berlin. Sie legte ihr Brot auf den Teller und dankte artig. Dann lachte sie, weil ihr etwas einfiel, das zwar albern schien, ihr aber dennoch gut gefiel.
    »Was hast du?«, fragte der Vater.
    »Ich schäme mich ein bisschen.«
    »Weshalb?«
    »Ich dachte eben eine Dummheit.«
    »So?«
    »Dass ich das Glückskind des Jahrtausends bin.«

Rattendreck
    F riederikes Beichte hatte Waltraut zugesetzt. Sie machte sich um Monika die größten Sorgen. Tausend Dinge flogen ihr im Kopf herum. Sie hatte letzte Nacht kein Auge zubekommen – ganz abgesehen davon, dass Frau Misera sie bei Friederike eingeschlossen hatte.
    Was Monika und ihr beharrliches Schweigen betraf, hatte Friedel die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Es war
unaussprechlich. Und die Misera wollte den Skandal vertuschen.
    Vor Morgengrauen war die Leiterin erschienen und hatte sie »befreit« – Kiank stand wie ein Polizist an ihrer Seite. Wie eine Verbrecherin hatte man sie abgeführt und auf den dunklen Hof verbracht. Brot-Korff war mit dem Gespann erschienen und sie hatte in den Seitenwagen klettern müssen.
    Friederike hatte fest geschlafen; ihr ging es etwas besser. Wohin die Leiterin am Vorabend Monika Otten hatte bringen lassen, wusste Waltraut nicht und würde nun auch nicht mehr Gelegenheit erhalten, es herauszufinden. Sie hatte ausgedient, ihre Zeit auf Ulmengrund war abgelaufen.
    Korff war mit ihr durch den Morgen geknattert. Ihm vertraute sie. Sie wusste, dass er bestimmt kein Büttel der Misera war. Er verdiente sein Geld mit solchen Touren, überall und täglich. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie jetzt immerhin in Fulda war, wenn auch allein gelassen.
    Welches der Unglücke ihr mehr wehtat, hätte sie nicht sagen können: dass sie Monika nicht mehr beistehen und für Gerechtigkeit sorgen konnte; oder der Verlust der Freundschaft zu den Mädeln; oder dass sie Reni nicht mehr wiedersehen würde.
    Korff war mit ihr quer durch das bläulich dämmernde, noch leere Geflecht der Straßen von Fulda gestürmt und schließlich in eine Toreinfahrt abgebogen. Er hatte ein winziges Zimmer aufgeschlossen, ihre beiden Taschen hingestellt und war sofort wieder gegangen. War dies das Ende eines Lebens- und Arbeitsabschnitts, der mit so großen Hoffnungen begonnen hatte?
    Eigentlich hatte sie sich als Erzieherin nach der sogenannten Machtergreifung* keine Illusionen gemacht. Gerade deshalb
war ihr Ulmengrund so wichtig erschienen. Sie hatte gehofft, eine Insel zu betreten, während das Land allenthalben unterging.

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