Blumen für den Führer
auf ein Sofa im Wohnzimmer und eine der Frauen machte Tee. Dann waren sie mit der Leiterin allein.
»Ist das Darjeeling?«, fragte Reni, als der Tee vor ihr dampfte. Die Tassen waren übersät mit mikroskopisch kleinen Rosenblüten.
»Was bitte?«, fragte Frau Misera.
»So heißt der Tee, den ich bei meinem Vater getrunken habe.«
»Sieh mal an«, sagte die Leiterin und schenkte Reni einen anerkennenden Blick, der wohltat. »Graf Haardt, dein Vater«, fügte sie hinzu, »hat mir Nachricht gegeben, dass er dich schon morgen früh auf dem Gut erwartet. Nicht erst am Sonnabend. Ich würde sagen, du bleibst hier und schläfst ein bisschen, während
ich mich um Monika kümmere. Der Wagen des Grafen holt dich bereits um sechs Uhr ab, du wirst bei deinem Vater frühstücken, damit gar keine Zeit verloren geht, verstehst du? Es ist viel vorzubereiten für Berlin …«
Reni blieb dicht neben Monika sitzen und sah sie an. »Was wird denn bloß aus dir?«
»Mach dir da keine Sorgen«, sagte Frau Misera. »Wir werden in Ruhe über alles reden und dann werden wir weitersehen.«
In Reni breitete sich ein Gefühl aus, das sie beruhigte; sie vertraute Frau Misera.
»Ich mache dir nebenan ein Bett, Reni. Und ich gebe dir eines meiner Nachthemden, damit du nicht noch nach oben laufen musst. Es ist schon furchtbar spät und du musst noch ein bisschen schlafen.« Die Leiterin stand auf, und Reni hörte, wie sie hier und dort rumorte und durch das Nebenzimmer lief.
»Der Herr Graf hat Großes mit dir vor, das weißt du längst«, rief Frau Misera durch die offene Tür. »Berlin ist nur der Anfang. Ulmengrund spielt dabei allerdings eine wichtige Rolle. Wir werden hier einige Veränderungen vornehmen, die schon lange fällig sind. Ich hoffe sehr, dass ich auf dich zählen kann, wenn du demnächst auf dem Gut lebst. Du wirst interessante und mächtige Menschen kennenlernen, Reni. Der Graf bewegt sich in den höchsten Kreisen, und wenn wir es geschickt anstellen, werden wir alle davon profitieren. Auch deine Freundinnen, verstehst du? Wir reden noch darüber, jetzt ist es wirklich spät.«
Reni stellte ihre Tasse auf den Tisch und legte wieder einen Arm um Monika.
»Hörst du, was ich sage, Reni?«, rief die Leiterin durch die offene Tür.
»Ja, Frau Misera.«
»Versprichst du es? Dass du mich unterstützt. Uns alle.«
Reni sagte Ja.
Frau Misera kam zurück ins Wohnzimmer. »So, Kind, leg dich bitte hin. Monika darf zu den anderen in den Schlafsaal. Ich bringe sie selbst hinauf. Na, komm bitte!« Sie beugte sich zu Monika, die so schwerfällig aufstand, als wöge sie zu viel. Reni half dem Mädel. Jetzt spürte sie ihre eigene Erschöpfung und Müdigkeit. Sie küsste Monika auf die Wange, obwohl sie wusste, dass Frau Misera so etwas nicht gerne sah. Schließlich wünschte sie eine gute Nacht, ging in das Nebenzimmer und schloss die Tür.
Es war ein Klappbett, das frisch gemacht in einer Ecke stand. Eine hübsche Tischlampe mit einem Schirm aus gefaltetem Papier verbreitete ein warmes Licht. Reni zog die Schuhe aus, legte ihre Kleider auf einen Stuhl und schlüpfte in das Nachthemd. Es roch nach frischer Wäsche. Sie schlug die Decke zurück, und als sie dalag, zog sie den Stoff bis an das Kinn. Sie dachte an den Tag, der so verwirrend gewesen war. Es tat ihr leid, dass alle anderen mit Schwierigkeiten kämpfen mussten. Nur ihr fiel alles in den Schoß. Es war, als hielte das Schicksal ein neues, schönes Leben für sie bereit. Beinah zu schön, um wahr zu sein.
Der Graf sah aus dem Fenster und wartete, dass Reni las. Sie holte Luft.
»Verehrtes, hochgeschätztes Fräulein Anstorm«, las Reni laut und deutlich und hielt das mit ihrer kleinen, aber klaren Schrift gefüllte Blatt etwas geneigt ins frühe Fensterlicht. »Als meine Frau und ich im Jahre 1913 nach Afrika reisten, um unser Urwaldspital zu errichten, hofften wir, andere Menschen
für unsere Idee begeistern zu können, was uns auch gelungen ist. Die Not in diesem Land ist ungeheuer groß, und die benötigte Hilfe scheint mit jedem Tag zu wachsen, sodass es immer schwieriger wird, diesen armen Menschen um uns her eine bessere Zukunft zu geben. In den über zwanzig Jahren hier haben wir eine große Menge Zuwendung und Unterstützung erhalten, und es wäre falsch zu sagen, man lasse uns im Stich. Und manchmal begegnen uns sogar Menschen, deren Hilfe besonders groß ist. Sie, liebes Fräulein Reni, gehören zu diesen außergewöhnlichen Menschen, die meiner Frau,
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