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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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auf Kianks Stelle in Haus Ulmengrund zu setzen, dann kann er dort ein wenig nach dem Rechten sehen. Kiank ist ein Schubiak. Frau Misera kommt mit ihm zurecht, aber er scheint mir bei euch Mädeln nicht gut aufgehoben. Nun ja … Ich erzähle dir das nur, weil auch dies Angelegenheiten sind, die das Gut und den Besitz betreffen. Verstehst du das?«
    »Aber ja …«, sagte Reni. Diesmal hätte sie wirklich um ein Haar Vater zu ihm gesagt. Sie fasste sich an den Mund und blickte auf die Brotscheibe auf ihrem Teller. Sie nahm das Messer und führte es zur Butterschale. Im Pensionat gab es ausschließlich Margarine, oft auch nur einen anderen Aufstrich, der nach Seife roch. Leberwurst gab es nur sehr selten und der Käse war nie frisch und schwitzte hässlich.
    Sie nahm etwas von der Butter und bestrich die Scheibe zaghaft und nur dünn. Die Butter duftete.
    »Ich habe eine Überraschung für dich.« Der Vater köpfte
das Ei, das vor ihm in einem zierlichen Becher stand. »Ich erhielt vorhin einen Anruf, dass wir auf unserem Weg nach Berlin einen hochgeehrten Gast in unserem Abteil begrüßen dürfen, der in Halle zusteigen wird. Frau Doktor Agnes Miegel. Ich habe sie schon erwähnt, glaube ich. Sie schreibt wunderbare Balladen und Erzählungen, die ihr in der Schule gewiss schon gelesen habt. Ich bewundere diese Dichterin außerordentlich.«
    Reni sah, dass seine Augen leuchteten. Sie war so stolz auf ihn. Alle Angst und Zweifel waren wie weggeschmolzen.
    »Zu den Verwaltungsangelegenheiten, die das Gut und den übrigen Besitz betreffen, gehört auch das Gespräch mit den örtlichen Behörden, mit der Stadtverwaltung in Fulda, den Bürgermeistern und Kirchengemeinden der umliegenden Ortschaften. Ich werde dich so bald wie möglich bei meinen Besuchen dorthin mitnehmen. Auf diese Weise wirst du den Umgang mit diesen Leuten erlernen und verstehen, um welche alltäglichen und besonderen Probleme es dort geht.«
    Er sah sie an und schob die Unterlippe vor. »Darunter verstehe ich auch Dinge wie den Kontakt zur Polizei und zu den lokalen Zeitungsredakteuren. Das sind die Stellen, über die wir Verbindung mit der Bevölkerung herstellen und erfahren, was die Leute denken, womit sie zufrieden sind und womit nicht, oder ob es Gesellen gibt, die es nicht gut mit uns meinen. Immerhin haben wir eine gefährliche Republik hinter uns, deren politische Ziele nicht zum Erhalt der gegenwärtigen Besitzverhältnisse beigetragen hätten. Ein Mann wie ich wäre von ihnen eines Tages enteignet worden. Weißt du, das ist die gefährliche Seite der schönen Idee von der Gleichheit aller Menschen. Es gibt immer Neider, Kommunisten, sogenannte Revolutionäre, religiöse Sektenführer, Verbrecher
oder einfach Träumer, vor denen wir uns in Acht nehmen und die Bevölkerung in Schutz nehmen müssen. Das Volk besteht nicht aus einzelnen Menschen, sondern aus einer unsichtbaren Menge von Gruppen und Untergruppen, die wie Netze miteinander verwoben und verflochten sind.«
    Reni hörte ihm aufmerksam zu und hatte sogar das Brot vergessen, das auf ihrem Teller lag.
    »Aber nun iss bitte!« Er nickte ihr zu.
    Sie strich etwas Konfitüre auf die Butter, nahm die Brotscheibe in die Hand und biss mit Appetit hinein.
    »Wenn wir nicht ein wachsames Auge darauf halten«, fuhr er fort, »auf diese verschiedenen Gruppen, sofern wir sie überhaupt sehen und kennen, dann werden wir angreifbar. Verstehst du das?«
    Reni fand es nicht schwierig, sich vorzustellen, dass man all die einzelnen Menschen, aus denen die Bevölkerung bestand, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten immer wieder neu sortieren konnte. Wie die tausend Knöpfe, Spangen, Garne und Nadeln in Tante Magdas kleiner Näherei.
    »Ich erzähle dir einmal ein gutes Beispiel, wie prekär so etwas werden kann«, sagte der Graf und schnitt mit seinem Löffel in die Spitze des gekochten Eis. »Mein Fahrer machte mich gestern darauf aufmerksam, dass die Polizei in Schwarzerden die Wohnung einer Frau durchsucht habe. Nun stellt sich heraus, dass es von dort sogar Verbindungen zu einem meiner Höfe gibt und zu diesem Jungen, den alle Welt sucht, weil er in den Verdacht geraten ist, einen Knecht meines Pachtbauern Schlömer getötet zu haben. Du hast sicher davon gehört; überall wird von nichts anderem geredet. Ich kenne diesen Jungen. Sein Vater arbeitet auf demselben Hof wie dieser Knecht und hat oft über seine Söhne geklagt, auch
über den älteren Bruder des Gesuchten, der auch über alle Berge ist.

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