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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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Flugzeug kreisen. Sofort fiel ihr die Feldarbeit vor ein paar Tagen ein, die Landung des Piloten. Vor allem Jockel, der gesuchte Mörderjunge. Ob er schon gefasst und festgenommen worden war?
    Ihr Blick haftete an dem dichten und scheinbar hüpfenden Bündel aus Telefondrähten, die neben der Bahntrasse verliefen. Die Masten jagten vorbei, und es sah aus, als stießen die Masten das Drahtbündel jedes Mal hoch unter die Wolken.
    Der Vater rief: »Luther, Goethe, Bismarck, Siemens, das ist die deutsche Linie.«
    Und Frau Doktor Miegel fragte: »Welche Bücher gefallen dir am meisten, Renate?«
    »Ich habe Stefan Zweig gelesen«, sagte Reni und bereute es sofort, weil Frau Miegel sicher fragen würde, welches seiner Werke. Es wäre mehr als peinlich, ihr die Wahrheit zu sagen: Verwirrung der Gefühle . »Und Doktor Albert Schweitzer«, setzte sie flink hinzu. » Aus meinem Leben und Denken .«
    »Das ist bemerkenswert«, sagte die Dichterin. »Ich nehme an, Sie haben Ihrer Tochter das Buch dieses seltsamen Arztes geschenkt. Renatchen wird Ihnen eines Tages dafür dankbar
sein, dass Sie ihr in ihrer Kindheit und Jugend ein so großzügiger Vater waren.« Sie wandte sich Reni zu. »Is das nich ein schöner Jedanke?«
    »In der Tat«, antwortete der Vater etwas hastig.
    Reni merkte, dass er von dem, was Frau Miegel gesagt hatte, schlicht überwältigt worden war. Jetzt einzugestehen, dass er seine Tochter bis vor ein paar Tagen überhaupt nicht gekannt hatte, wäre ihm gewiss ebenso schwergefallen, wie es ihr selbst schwerfiele, der bewunderten Dichterin die zweifelhafte Stefan-Zweig-Lektüre zu beichten.
    »Ich habe eine Freundin, die etwas älter ist als ich«, schwindelte sie in der Gewissheit, dass der Vater sie nicht dafür brandmarken würde. »Sie ist sehr gebildet und kennt fast alle Schriftsteller.«
    »Du nanntest vorhin Stefan Zweig«, entgegnete die Dichterin. »Er hat sehr sensible Geschichten geschrieben, in denen Gefühle eine Rolle spielen, über die man in der Öffentlichkeit nicht spricht. Umso wichtiger, dass ein Autor die richtigen Worte findet.«
    Der Vater sagte »Na ja« und beobachtete, wie der Zug in den Bahnhof einfuhr und allmählich zum Stehen kam. Wieder verbreitete sich Wasserdampf, das Fauchen der Maschine wurde von den Hauswänden der Gebäude zurückgeworfen. Der Bahnsteig füllte sich.
    Reni stand auf und zog das Abteilfenster herunter. Die kalte Luft tat gut.
    »Unsere schöne Lutherstadt!«, belehrte sie der Vater.
    Auch Frau Miegel erhob sich von ihrem Platz. »Entschuldijen Se bitte, Herr Jraf. Ich möchte den Schaffner fragen, ob unser Halt lange genug dauert, um die Waschräume des Bahnhofsjebäudes aufzusuchen.«

    Der Vater stand auf und half ihr in den Mantel, er öffnete die Tür. Sie entschuldigte sich noch einmal und trat auf den Gang hinaus. Dann waren Reni und er allein. Der Vater setzte sich. Er schien erschöpft. Reni konnte sehen, dass er etwas auf dem Herzen hatte, etwas sagen wollte, was ihm nicht leichtfiel. Er suchte ihren Blick. »Ich muss mich leider auf diese Erzieherin beziehen, Renate, Fräulein Knesebeck. Du kannst von Glück sagen, dass du für den Moment nicht länger dieser Gefahr ausgesetzt bist. Wir werden darüber reden müssen, ob du überhaupt nach Ulmengrund zurückkehren solltest.«
    Reni merkte, wie sie sich innerlich einrollte, zum Schutz, wie ein kleines Tier, das nicht mehr fliehen konnte. Was er sagte, gefiel ihr nicht.
    »Diese Erzieherin, die du so blind verehrst, ist zusammen mit diesem Mörderjungen gesehen worden. Und ich habe dir von der Wohnung in Schwarzerden erzählt, die von der Polizei durchsucht wurde. Man hat dort allerhand reichsfeindliches Material gefunden. Irgendwie stecken all diese Verdächtigen zusammen, und wir haben allen Grund, uns vor solchen Leuten zu fürchten. Übrigens auch vor diesem Brot-Korff. So wird er doch genannt. Knattert mit seinem Motorrad über die Chausseen, als könne er niemandem ein Haar krümmen.«
    Reni merkte im Augenwinkel, dass er sie prüfend ansah. Am liebsten wäre sie erst mal weggelaufen und hätte ein bisschen Zeit vergehen lassen.
    »Ohne dich verletzen zu wollen, beileibe nicht, muss ich dir jedoch sagen, dass du uns alle mit deiner Vertrauensseligkeit gefährden könntest. Unsere Familie, verstehst du? Du bist zu klug, um wirklich anzunehmen, die Menschen und Dinge seien nur das, was sie an der Oberfläche zu sein scheinen. Wir
müssen in die Tiefe schauen. Hinter der Freundinnenfassade

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