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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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eine Gasse getrieben wurde. Alles war verstopft, und man musste warten, bis es endlich weiterging. Am Berliner Schloss entdeckte Reni eine riesige Wand aus den Flaggen aller neunundvierzig Länder, die gekommen waren. So etwas hatte sie noch nie gesehen.

    Vor einem großen Café ließ der Vater den Chauffeur anhalten und bezahlte ihn für den Rest der Strecke bis zum Hotel Kaiserhof , wohin er das Gepäck zu bringen hätte.
    Im ersten Stock des Cafés saßen sie vor gewaltigen Fenstern und schauten auf den nicht endenden Strom der Passanten in der Tiefe. Der Kellner brachte ein Stück Sahnetorte, in dem große Birnenstücke steckten. Reni bekam eine Tasse echten Bohnenkaffee mit einem Häubchen aus fetter Schlagsahne.
    Die Leute im Café redeten gedämpft, ihre Bewegungen erschienen Reni langsam. Sie sah eine Dame, die einen Pelz trug, der so weiß war, dass er blendete und Reni das Licht im Blick mitführte, als hätte sie in die Sonne geschaut. Sie war schier überwältigt von dem Vielen, Hohen, Lauten, Grenzenlosen, Überfüllten dieser Stadt und von der ruhigen, vornehmen Atmosphäre des Cafés.
    Der Vater trank Kognak, rauchte eine wohlriechende Zigarre und ging ein paarmal an andere Tische, wo er Herren begrüßte, die Fräcke trugen. Seine Schritte waren lautlos, er schwebte förmlich auf dem Teppich. Reni merkte, wie das Gefühl von Glanz und Bedeutung Besitz von ihr ergriff. Obwohl es ihr vollkommen fremd war, schlich es sich mit den Gedanken an die kommende Begegnung in ihr Herz. Sie lehnte sich bequem zurück, legte eine Hand ans Kinn und wollte lernen, sich zu fühlen wie der Vater und die Menschen um sie her. Ihr war, als wäre immer schon ein feinerer Sinn dafür in ihr gewesen, für das Gediegene, für dicke Teppiche und Sahnehäubchen. Sie lächelte, und der Vater nickte ihr aufmunternd zu, als spürte er mit ihr, dass sie mit alldem einverstanden war. Es brauchte keine weiteren Worte zwischen ihnen.
    Das Hotel Kaiserhof verfügte über zweihundertsechzig
Zimmer. Es war ein so prachtvolles Gebäude, dass Reni sich nicht gewundert hätte, wenn seine Gäste ausschließlich Minister, Fürsten und Könige gewesen wären. Einer der Concierges machte einen tiefen Diener vor ihr und ihrem Vater, dem Herrn Grafen. Die Pagen trugen Handschuhe und waren nicht älter als sie selbst; sie wichen, wenn sie lächelte, einen kleinen Schritt vor ihr zurück. Reni entdeckte einen echten Neger und erschreckte sich, wie kohlenschwarz er war. Beduinen trugen lange weiße Schleppen, man sah wankende Turbane und sogar Chinesen, deren Augen schmal wie Bleistiftstriche waren. Die ganze Welt ist hier versammelt, dachte sie und fragte sich, ob das immer so ist in einer Weltstadt oder nur bei solchen Festen. In der Eingangshalle standen hohe Palmen, man redete gedämpft. Das Gepäck stand in einem goldenen Wagen bereit, der von einem Diener zum Aufzug geschoben wurde. Der Vater und Reni schritten in gemessenem Abstand hinterdrein; ein weiterer Diener ging seitlich voraus und wies den Weg.
    Jedes der beiden Zimmer, die der Vater reserviert hatte, war größer als der Speisesaal in Ulmengrund. Durch die hohen Fenster schaute Reni auf eine Kette wartender Taxidroschken und ein hübsches Blumenrondell mit einem stolzen Brunnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ein Badezimmer mit Toilette ganz für sich allein. Sie schloss sich darin ein, obwohl niemand sonst im Zimmer war, und ließ die Tränen laufen. Das neue Leben war der Himmel, und als sie später mit dem Vater das Restaurant betrat, drehten sich Gäste nach ihnen um, grüßten, und der Vater grüßte zurück, indem er sich jedes Mal fast unmerklich verneigte, aber entschieden weiterging, bis zu einem größeren, ovalen Tisch, der voll besetzt war.

    »Guten Tag, hochverehrte Gräfin. Liebste Viktoria, ich habe Ihnen eine Überraschung mitgebracht«, sagte er und drehte sich halb um.
    Reni machte ihren Knicks.
    »Renate, meine Tochter.«
    Die korpulente Dame sah Reni prüfend an. Sie hatte ein Männergesicht und trug einen modischen Federhut, der nicht zu ihrem bestickten, hochgeschlossenen Brokatkleid passte. Sie streckte ihre Rechte vor, Reni nahm sie und machte einen zweiten Knicks.
    »Sagen Sie mal, lieber Ferdinand, Sie verstehen es immer wieder, mich zu verblüffen. Wer hätte geahnt, dass Sie einen so reizenden Engel zur Tochter haben. Oder haben Sie es vielleicht selbst nicht gewusst?« Sie warf ihm einen Blick zu, der Reni nicht gefiel.
    Der Vater hob die

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