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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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Selbstbewusstsein war mit fünfzehn Jahren nicht so ausgeprägt, dass ich mir damals hätte träumen lassen, was dann passierte. Der Beruf des Schriftstellers erfordert es, häufig recht selbstbezogen, um nicht zu sagen egoistisch zu denken und zu fühlen. Nicht dass ich mich dieser Sünde schuldig gemacht hätte. Aber die Aufgabe und Arbeitsweise erzwingen eine gewisse Konzentration auf das Eigene, Private und sozusagen ganz und gar Unpolitische, etwas, das sich gerade nicht mit anderen teilen lässt. Obwohl das natürlich ein Widerspruch ist, denn meine Leser haben ja Anteil an etwas, das aus meinem tiefen Innern an die Oberfläche gelangt, nicht wahr?«
    Reni konnte nicht entscheiden, ob Frau Doktor Miegel diese Sätze eher in Richtung auf den Vater hin oder zu ihr gesagt hatte. Jedenfalls hatte sie jedes Bausteinchen dieser Gedanken verstanden und war davon ergriffen.
    Im Grunde ließen sich die Überlegungen auch auf das anwenden, was sie selbst über ihre frei erfundenen Eltern den Freundinnen erzählte, auf das Urwaldspital von Lambarene also. All diesem haftete ebenfalls etwas verborgenes Eigenes an, und Reni hatte es immer genossen, dieses Eigene zu spüren.
    »Verzeihen Sie, Herr Graf«, sagte Frau Miegel. »Ich bin sonst nicht so geschwätzig. Ihre Tochter inspiriert mich.« Sie wandte sich wieder Reni zu. »Du bist mir nicht böse, dass ich überhaupt nicht mehr den Mund halte, oder?«
    Reni schüttelte den Kopf.
    Der Vater beruhigte seinen Gast mit aller Höflichkeit. Nichts habe er inniger erhofft als das Gefühl, sie sei gerne zugestiegen
und es gehe ihr gut. Und diesen Eindruck habe er nun wirklich.
    Die Dichterin bestätigte es.
    Ein weiß gekleideter Zugkellner erschien und wies darauf hin, dass im Speisewagen ein zweites Frühstück gereicht werde. Der Vater stand auf und verschwand im Gang, offensichtlich um mit dem Mann zu reden.
    »Und welche Pläne hast du für dein Leben?«, fragte Frau Doktor Miegel plötzlich. »Es ist ja heutzutage für ein junges Mädchen viel leichter, an einen Beruf zu denken, als in meiner Jugend, weißt du? Als ich mein erstes Buch in den Händen hielt, musste meine Mutter sich von den Nachbarn abschätzige Blicke gefallen lassen. Es geziemte sich nicht, und dabei war es keineswegs so, dass ich mich als Dichterin von Beruf verstanden hätte. Es gehörte sich einfach nicht für eine junge Frau, an etwas anderes zu denken als ans Heiraten und die Familie. Erzieherin oder Lehrerin waren die einzigen Berufstätigkeiten, für die man sich nicht schämen musste.«
    Reni erzählte, dass sie Ärztin werden wolle.
    »Jroßartich, Renate.« Plötzlich ließ die Dame ihren Akzent wieder durchscheinen. »Sei nur bitte weiter so selbstbewusst. Ich jlaube, die Zukunft wird dir recht geben. Die Regierung jlaubt ja an den Menschen schlechthin; da wird es bald nich mehr diesen Zwang jeben, dem sich aktive Frauen immer noch ausjesetzt fühlen müssen.« Und wieder Hochdeutsch: »Wir bauen etwas auf, nicht wahr? Ich selbst bin im Grunde viel zu schwach … das liegt an der Erziehung damals … Verzeih mir, wenn ich so etwas Intimes sage. Aber ich habe das Gefühl, dass ich dir vertrauen kann. Ich hatte es vom ersten Augenblick an. Wie seltsam: eine alte Frau und ein so hübsches Mädel …«

    »Sie sind sehr freundlich zu mir«, sagte Reni in das Räderschlagen. Nun war sie doch verlegen. Sie hätte gerne gesagt, dass sie furchtbar stolz sei, so gelobt zu werden, noch dazu von einer echten Dichterin. Auch hätte sie liebend gerne von Fräulein Knesebeck erzählt, die ja auch älter war als sie selbst und die sich als eine Art Freundin empfand, ein bisschen jedenfalls. Aber sie traute sich nicht, es laut zu sagen.
    Der Vater kam zurück. »Es ist mir gelungen, das Personal dazu zu bringen, dass dieses zweite Frühstück hier im Abteil serviert wird. Ich hoffe, Sie sind einverstanden, Frau Doktor Miegel.«
    Er ließ ihr kaum Gelegenheit zu antworten, denn schon fügte er hinzu: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, von der ich nicht sicher bin, ob sie nicht allzu privat ist? Ich hoffe sehr, ich trete Ihnen damit nicht zu nahe … In einer Zeitung las ich, dass Sie Ihre Dichtungen zuweilen gerade nicht mühevoll planen und bedenken, wie man meinen sollte, sondern dass Sie von den Bildern gleichsam überwältigt werden. Das finde ich faszinierend. Aber wie muss ich mir so etwas vorstellen? Wenn es denn überhaupt zutrifft, verzeihen Sie bitte.« Er sah sie fast bohrend an. »Bitte, schelten

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