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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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lauert ein Gewebe von politischen Absichten und blutigen Plänen, die uns alles rauben wollen, was wir sind und haben. Jetzt bist du traurig, stimmt’s?«
    Reni nickte. Ihr Blick schweifte über den Bahnsteig, sie hoffte, Frau Doktor Miegel zu entdecken. Sie sollte bloß nicht zu lange fortbleiben und schnell wiederkommen und weiter aus ihrem Leben und vom Dichten erzählen. Der Vater schwieg besorgt. Reni dachte daran, wie der Führer eine Reise zum Oganga unternehmen würde. Sie stellte sich vor, wie er in Berlin in den Sonderzug steigt und nach Hamburg fährt, wo ein weißes Schiff am Kai liegt, in dessen Laderäumen sich schon das Wellblech befindet.
    »Du glaubst an das Gute im Menschen, Reni. Das ist ehrenwert und das hat Martin Luther auch getan.« Der Vater sah sie beinah liebevoll an mit seinen dunklen Augen und alten, aber schönen Zügen. »Es tut mir unendlich leid, dich auf diese Weise enttäuschen zu müssen, mein Kind. Ich kenne deine Wünsche und Visionen. Am liebsten würdest du die ganze Welt versöhnt sehen und dass wir alle Hand in Hand in diesem Urwaldspital das Wellblech auf die Hüttendächer legen. Habe ich recht?«
    Sie nickte schwach. Das weiße Schiff fährt durch den Ärmelkanal bis zu den Kanarischen Inseln.
    »Das ist leider so nicht möglich«, sagte der Vater in der Wirklichkeit.
    »Aber warum denn nicht?«, fragte sie leise.
    Er antwortete nicht, sondern deutete zum Fenster hinaus. Frau Doktor Miegel lief mit kleinen, hastigen Schritten über den Bahnsteig auf das Gebäude aus ockergelben Ziegelsteinen zu und verschwand im Eingangsportal.

    Der Bahnhof Wittenberg flirrte vor lauter rot-weißen Fahnen, Hakenkreuzen, Girlanden, Bannern mit olympischen Ringen, Blumen und Tannengrün. Auch hier priesen die Zeitungsjungen die allerneusten Blätter und Berichte an. Es wimmelte. Der Sport, die Welt, Berlin, der Führer, schneller, höher, weiter. Nichts schien wichtiger, als selbst dabei zu sein, die Leute drängelten und schubsten sich, als wäre es eine neue olympische Disziplin. Jeder schien mit jedem nur dieses eine Thema anzusprechen, draußen auf dem Bahnsteig, drinnen vor den Schiebetüren der Abteile. Überall.
    Die Reise des Führers geht über Dakar weiter nach Süden bis zum Kap Palmas, wo sich der Golf von Guinea nach Osten erstreckt. An Deck wird über den Führer geredet und dass man Doktor Schweitzer bereits telegrafisch über die baldige Ankunft informiert hat.
    »Dichter denken übrigens auch nicht politisch«, stellte der Vater fest. »Sondern in Gleichnissen und Übertreibungen. Aber das ist leider alles nicht nützlich und kann leicht von jedermann missbraucht werden. Deshalb müssen wir uns an die Wirklichkeit halten.«
    Reni hatte keine Worte. Ihre Freude, die sie vor ein paar Minuten noch empfunden hatte, war ein bisschen schal geworden. Sie dachte lieber weiter an die Reise des Führers, das tat ihr gut. Das Schiff macht am Kap Lopez fest. Von dort geht die Fahrt auf dem Ogowe-Strom landeinwärts weiter. Der Führer und sein Stab fahren auf einem Boot, das Doktor Schweitzer extra bestellt hat. Es bringt den Friedenskanzler bis nach Lambarene, wo sich die beiden großen Männer endlich zum ersten Mal die Hände reichen. Ein gewaltiger Augenblick, der mit einer Filmkamera für alle Zeiten festgehalten und in der ganzen Welt gesehen wird.

    »Ich wünsche mir, dass du als meine Tochter … dass du lernst, wie eine echte Haardt zu denken und zu entscheiden. Das bedeutet, tiefer in die Herzen und Köpfe zu blicken.« Der Vater beugte sich vor, ergriff ihre Hände und sah sie eindringlich an. »Diesen Lernprozess nennt man Erwachsenwerden, Reni, und er ist manchmal schmerzlich. Aber es führt kein Weg daran vorbei.«
    Es fiel ihr schwer zu lächeln, aber sie schaffte es. Wie eine echte Haardt! Ja, sie wollte es: das nagelneue Leben!
    Reni starrte auf den Eingang des Bahnhofgebäudes. Der Vater hatte recht; sie musste so viel Neues lernen. Und sie musste jetzt damit beginnen.

Liebste Gräfin
    G egen Mittag fuhr der Sonderzug in den Potsdamer Bahnhof ein. Man bestieg eine große, schwarze Autodroschke und Reni kriegte vor lauter Staunen den Mund kaum zu. Die ganze riesige Stadt flatterte von Fahnen und Girlanden und langen, spitzen Wipfeln, überall liefen unglaublich viele Menschen auf den Trottoiren, und auf jedem Straßendamm fuhren mehr Automobile, als es in Fulda und Gersfeld zusammen gab. An manchen Stellen ging es zu wie daheim, wenn eine Schaf- oder Kuhherde durch

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