Blumen fuer die Toten - Ein Fall fuer Commissario Mariani
diese Beschimpfung der Raucher und des Staatsmonopols als Ventil.
Ich reiche ihr das Päckchen und sehe mir dieses Versöhnungsritual ohne eine Regung an.
Auch Francesca kennt das schon.
»Wollt ihr noch Kaffee?«
Francesca und ich schütteln beide den Kopf, denn keiner von uns mag koffeinfreien Kaffee. »Doch mach du dir ruhig noch einen. Na ja, vielleicht nehme ich doch noch eine Tasse«, sagt Francesca.
»Und du, Nino?«
Ich besitze Francescas Heldenmut nicht und bleibe beim Nein.
Meine Mutter hantiert mit der Espressomaschine und sagt: »Aber Francesca, schau, mir sagen die Augen nichts. Man kann sich auch eine Brille aufsetzen … Es ist der Mund, der Mund sagt viel mehr. Ich habe meinen Schülern immer auf den Mund geschaut.« Sie zündet die Gasflamme an und setzt sich. »Ob ich noch Lippenstift im Haus habe? Nein, ganz sicher nicht. Ich benutze seit Ewigkeiten keinen mehr.« Sie schaut Francesca an. »Hast du einen Lippenstift in deiner Tasche?«
»Nein, Ma.«
»Ich nehme an, Nino hat auch keinen …«
»Ich? Ganz bestimmt nicht!«
Francesca kramt in ihrer Tasche. »Aber ich habe einen roten Stift. Geht der?«
»Versuchen wir es.« Meine Mutter nimmt den Stift und beginnt die schmalen Lippen der Frau anzumalen. »Doch diese Farbe war es nicht, sie ging ein bisschen mehr ins Lila. Als ich jung war, nannte man sie Amarant. Grauenvoll.« Das ist allerdings nicht ausschlaggebend: Meine Mutter mag nämlich Lippenstift überhaupt nicht. »Nicht, dass ich mich wirklich daran erinnere, sie gesehen zu haben, aber daran, dass ich gedacht habe, dass sie damit noch ausgezehrter aussieht, daran erinnere ich mich. Nicht an ein Gesicht, sondern an einen Gedanken.«
»Und wo und wann …«
»Himmel, Nino, wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen!«
»Der Trick ist, noch weitere Details hinzuzufügen.«
Das habe ich bestimmt schon Hunderten von Zeugen gesagt, das geschieht schon ganz mechanisch.
»Weiß ich doch, ich bin ja nicht dumm, bloß weil ich alt bin.«
Ich sehe auf die Uhr: halb drei. Ich kann den illustren Botaniker nicht warten lassen. »Soll ich dich mitnehmen?«
Doch Francesca schüttelt den Kopf: »Ich helfe deiner Mutter beim Abwaschen …« Dann können sie ein bisschen quatschen. Ich würde ja zu gerne wissen, wie weit ihre Vertrautheit geht.
Manlio Borgese wohnt im obersten Stockwerk eines Altbaus mit Concierge. Man möchte nicht glauben, dass es Frühling ist. Der Tag ist feucht und grau. Doch der Blick aus dem Fenster des Arbeitszimmers bietet ein großartiges Schauspiel. Eine Sinfonie in Perlgrau, am Horizont ein heller Streifen, der vielleicht noch Meer, vielleicht aber auch schon Himmel ist. Die drei Doppelfenster führen zu einer Dachterrasse. Es ist vermutlich überflüssig zu sagen, dass diese mit Grünzeug und Blütenpflanzen vollgestellt ist.
Auch die weißen Sesselchen sind nicht zu verachten.
Der Professor bemerkt, dass ich das hinter ihm hängende Portrait eines Mannes mittleren Alters betrachte. »Mein Großvater. Er war auch schon Botaniker. Sowohl mein Vater als auch ich sind in seine Fußstapfen getreten. Die Botanik ist eine Familienleidenschaft. Auch meine Schwester Flora befasst sich mit Blumen, sie ist Vorsitzende eines Vereins der Freunde historischer Gärten.« Der Großvater hatte einen Kinnbart und trug einen Gehrock. Auch in Jeans und Pullover - vermutlich Designersachen - sieht sein Enkel ihm ähnlich.
»Ich brauchte Auskünfte über Kamelien, da wurden Sie mir genannt. Doch ich habe so wenig Ahnung davon, dass ich nicht einmal wüsste, welche Fragen ich stellen muss. Vielleicht ist es am besten, wenn Sie mir etwas über Kamelien erzählen. Dann kann ich Fragen stellen.«
»Warten Sie …« Er steht auf und öffnet einen Bücherschrank. Ein solches Möbelstück würde Francesca glücklich machen: altes Holz, ganz schlicht im Stil, geschliffenes, in Blei gefasstes Glas. »Sie hatten mir Ihr Interesse für Kamelien ja schon angekündigt …« Er drückt mir einen umfangreichen Band mit sechs- oder siebenhundert Seiten in die Hand. »Das ist eine erschöpfende Abhandlung über das Thema.« Ich nehme das Buch entgegen, danke ihm, doch ich stehe nicht auf.
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Fotos zeigen.«
»Es kommt immer auf die Qualität der Abzüge an. Blüten sind nicht einfach zu fotografieren, ich weiß nicht, ob die Fotografen der Polizei …«
»Wir fotografieren normalerweise keine Blüten, da haben Sie Recht. Beim nächsten Mal werden wir
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