Blumen fuer Polt
Würde,
Lebenskraft. Aber wir hatten noch Illusionen, damals, meine junge Frau und
ich: ein Bollwerk bäuerlicher Kultur an der feindlich gewordenen Grenze. Der
Gutsherr war damals froh, daß sich jemand um die Gebäude kümmerte, besser gesagt,
um den traurigen Rest, den die Zerstörungswut der Russen übriggelassen hat. Die
Pacht war also denkbar gering und ist auch heute nicht hoch. Wir haben schwer
gearbeitet und eisern gespart, und wir sind gescheitert, Inspektor. Ja, wenn es
einen Sohn gäbe, stark und entschlossen, dann könnte es sich schon noch lohnen,
für die Zukunft zu kämpfen. Aber so hat uns das Schicksal bestohlen. Sie ahnen
nicht, wie sehr. Aber lassen wir das. Es zählt heute nicht mehr. Wir werden den
Runhof aufgeben müssen, und er wird dann wohl endgültig verfallen. -
Entschuldigen Sie mich bitte für einen Augenblick.“ Breitwieser erhob sich,
ging zum Schreibtisch, nahm ein dort liegendes Fernglas und spähte durch eines
der hohen Fenster nach Osten. „Dachte ich es mir doch. Sie kommen immer am
frühen Nachmittag.“ Er wandte sich dem Gendarmen zu. „Der Runhof steht unter
Beobachtung, müssen Sie wissen.“
Polt blickte erstaunt hoch. „Und wer sollte so etwas
tun?“
„Kinder. Ihre Gesichter kann ich nicht erkennen. Für
die bin ich wohl ein greiser Raubritter in einer finsteren Feste.“ Er reichte
Polt das Glas, und tatsächlich sah der Gendarm, daß sich bei der Buschgruppe,
wo die Zufahrt zum Runhof einen Knick machte, etwas bewegte.
Die
Viererbande
„Wir sind da. Hier ist er gelegen.“ Simon Polts
Stimme klang spröd. Er und Karin Walter waren mit den Fahrrädern durch die
Burgheimer Kellergasse zur Wiese unter dem Lößabsturz gefahren. Es war ein
schöner Sonntagmorgen, und die Steilwand leuchtete in der Sonne.
„Ich war schon lange nicht mehr hier.“ Die Lehrerin
legte ihr Fahrrad ins Gras. „Schön ist es. Entschuldige, Simon, wenn ich das so
sage.“
„Warum denn nicht? Dem Willi hat es auch gefallen.“
Karin schaute Polt prüfend an. „Meinst du das
ironisch?“
„Nein, Karin, ganz und gar nicht. Weißt du, nach und
nach schieben sich die hellen Bilder vor die dunklen.“
„Recht so. Übrigens habe ich erzählen gehört, daß es
hier früher eine kleine Ziegelei gegeben hat.“
„Wie so häufig in dieser Gegend. Warum nicht. Das
würde auch die Höhe der Wand erklären und die eigenartige Wiesenbucht davor.
Kannst du mir übrigens sagen, woher die Löcher im Löß kommen?“
„Das sind Vogelwohnungen, wenn mich nicht alles
täuscht, Bienenfresser waren da am Werk. Zieselbauten werden auch darunter
sein, mit Balkon und Fernsicht sozusagen. Na ja. Und unterhalb wuchert es, wie
das eben so ist, auf brachliegenden Grünflächen, den Gstetten. Hinten siehst du
Hollerstauden, einen Nußbaum, und irgendwann werden die Akaziensträucher die
Alleinherrschaft antreten. Die Unkrautwiese davor steht derzeit natürlich in
voller Blüte.“ Karin zupfte eine kleine Dolde vom Stengel. „Das ist zum
Beispiel der gelbe Wiesensilau. Was hätten wir denn noch?“ Sie wurde von
pädagogischem Eifer ergriffen. „Blau blühende Wegwarte, gelb blühendes
Habichtskraut. Diese violetten Kerzen hier, das ist Wiesensalbei. Mein Lieber,
da spielt es sich ab! Johanniskraut, Kugeldisteln, kleine weiße
Nachtlichtnelken, Steinklee, Taubnesseln. Ja, und da schau her! Ein blauer
Natternkopf!“
Polt, schon einigermaßen verwirrt, fiel Karin ins
Wort. „Natternkopf? Wie kommt denn eine Blume zu diesem Namen?“
Die Lehrerin zeigte auf Staubgefäße, die auffallend
weit aus der Blüte ragten. „Und dazu noch eine zweispaltige Narbe.“ Sie machte
ein spitzes Gesicht und züngelte.
„Ah, ja, ich verstehe.“ Polt war beeindruckt.
Langsam näherten sie sich dem dichten Gestrüpp am Fuß der Lößwand. Polt
versuchte seiner Begleiterin den Weg zu bahnen. Dann blieb er überrascht
stehen. Eine niedrige Höhle zog sich, durch das Zweigwerk vor Blicken geschützt,
an die zehn Meter in den Löß. „Wenn das kein Abenteuerspielplatz ist!“
Karin Walter trat dicht an Polt heran. „Und ob.
Allerdings ein ziemlich gefährlicher.“
Die beiden gingen zum Wegrand zurück.
„Das hier ist übrigens ein Götterbaum.“ Sie zupfte
ein Blatt vom Zweig und zerrieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. „Riecht
erstaunlicherweise wie ein Hasenstall. Da, probier's!“
Simon Polt stellte fest, daß er gerne an Karins
Fingern roch, Hasenstall hin oder her.
Sie wischte flüchtig die
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