Blumenfresser
sie! Auch über dich! Ich erzähle, was für ein schöner und guter Mensch du gewesen bist! Dass du eine gute Mutter gewesen bist!
Barka nickte, ihr Blick wurde fahl.
Bloß habe ich den Verdacht, dass ich dazu verurteilt bin, mich an nichts zu erinnern, was ich über uns erzähle, verstehst du? Muss das so sein?
Barka stöhnte auf.
Ich verstehe das nicht, ganz und gar nicht!, flüsterte Gilagóg.
Barka lächelte, sie war bereits tot.
Die Zwillinge wimmerten, sie waren voller Wut, Eifersucht und Leidenschaften, die man nur für Schlechtigkeiten gebrauchen konnte. Die Soldaten hatten viele Wunden und Schmerzen zurückgelassen, ringsum brüllten, weinten und trauerten die Zigeuner. Die Zwillinge schnupften, ihre Schultern zuckten gleichzeitig. Barka war tot, Gilagóg beugte sich über sie und küsste sie auf ihren hasserfüllten Mund. Sie erwiderte den Kuss aus dem Tod, und der Woiwode, der kein Woiwode mehr war, wusste, dass Barkas Herz weiß geworden war. Gut, Barka, du tanzt mit weißem Herzen im Zigeunerhimmel! Die Zwillinge bissen Gilagóg in Waden und Schenkel. Sie waren wie Hunde. Sie hechelten, schnappten und bissen. Er verscheuchte sie, nahm Barka auf die Arme und trug sie ins Lager zurück, um seine Stirn wirbelte warmer Frühlingswind, während er die plärrenden Zwillinge vor sich hertrat. Dann fand er kaum ein Klageweib, das Barka beweint hätte, so sehr verabscheuten die anderen sie. Auch ihren Tod bedauerten sie nicht, wenn sie sich schon nicht darüber freuten. Gilagóg verscharrte sie allein, er aß Quark und Brot, wie es Brauch war, trank eine Flasche Wein, dann bastelte er ein Kreuz, wie er es auf den Gräbern der Ungarn gesehen hatte. Es war warm, er hatte Glück und fand einen knospenden Ast, den steckte er auf das Grab.
Die Zwillinge schonten Gilagóg nicht, der ihr Vater und ihre Mutter wurde, er wiegte und fütterte sie. Sie bissen und verschlangen sein Fleisch, verdarben ihm die Träume, vergifteten seine Gedanken. Wenn er etwas betrachtete, aßen sie aus seinem Blick die Farben heraus. Wollte er etwas in die Hand nehmen, sprangen die Zwillinge hinzu und rissen es weg. Wollte er sich irgendwo hinlegen, wälzten sie sich sogleich neben ihm auf dem Boden und zerwühlten die Lagerstätte. Was er an Essen zu Gesicht bekam, verschlangen sie sogleich. Der Himmel über ihnen war wie aus schepperndem, klapperndem Blech. Die Sonne leuchtete blass, sie war blind, die Sonne sah nur die Zwillinge. Nur Somnakaj war Gilagóg als einziger Trost geblieben, doch auch sie war fern. Er fiel von seinem Volk ab wie schwache Rinde vom Baumstamm.
Solange Somnakaj noch gelegentlich ins Lager kam, fragte sie ihn über ihre Mutter aus. Gilagóg sagte ihr nicht, wer ihre Mutter war, er wusste es ja selbst nicht. Woher auch? Er hatte Somnakaj in irgendeiner bosnischen Asche gefunden, der Frosch blinzelte, und er zog sie aus dem heißen Dreck und ließ sie tagelang waschen, denn bosnische Asche ist klebrig von Menschenfett. Er ließ ihr die Sternbilder erklären. Er zeigte ihr eine Höhle, wo seit Jahrhunderten Bären schliefen, zeigte ihr dankbar riechende Blumen und Berge, auf die man vergeblich zuging, man konnte sie niemals erreichen. Er hielt seine schützende Hand über das Mädchen, aber ließ sie selbstverständlich wachsen. Dass er die Weltgeschichte der Zigeuner erzählte und immer wieder erzählte, aber nichts damit erreichte, wagte er ihr nicht zu sagen. Er brüstete sich damit, dass er ihr ein Geheimnis ins Herz gepflanzt hatte. Es war seine Absicht, ihr das Geld zu geben, das er von dem Bleichgesichtigen bekommen hatte, und sie groß zu machen. Doch sie löste sich aus seinen Umarmungen, ohne auch nur zurückzuspucken. Da vergrub er das Geld, nicht weit vom Lager, nicht weit vom Grab des echten Masa, und um die Stelle nicht zu vergessen, ging er in der Nacht, wenn er pinkeln musste, immer dorthin. Auch die Zwillinge kamen mit, sie begleiteten ihn, auch sie pinkelten, stöhnten gleichzeitig, ließen es gleichzeitig rinnen.
Es war Herbst, als der verfluchte Peter Schön – dass Devel ihm das Herz herausfresse – Somnakaj mit sich nahm. Sie verabschiedete sich nicht, und wer sich nicht verabschiedet, ist davongelaufen. Und wer davonläuft, hat Angst. Ach, warum hatte Somnakaj vor ihm Angst? War er ihr ein schlechter, grausamer Vater gewesen?! Sie wusste nicht, was sie erwartete. König Hitze würde an ihr fressen, und König Frost würde an ihr fressen. An einem verwaisten Zigeuner konnte jeder
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