Blumenfresser
nicht untergegangen! Der Himmel hatte sich nicht verdunkelt, die Erde sich nicht aufgetan, Gewässer waren nicht über die Ufer getreten, es war August, die Blutsauger musizierten, es dämmerte ganz einfach nur! Eine struppige Frau starrte ihn an, quietschende Kinder liefen im Kreis um ihn herum. Ein junger Bursche ging Brennholz holen, er trällerte, Schlamm klebte an seiner Wade. Unweit spielte Somnakaj mit dem Hund. Die Sonne glühte rot auf der westlichen Halbkugel, vor den Robinien watschelte Barka mit ihrem großen Bauch, sie sah ihn an und begann böse zu grinsen. Die Welt lebte, die Welt war von seinen deutschen Worten nicht untergegangen!
Scheiße !, sagte der Woiwode erneut, dann setzte er hinzu:
Wenn ich will, geschieht alles, und wenn ich will, wird es nichts mehr geben.
Und sowohl für das Alles als auch für das Nichts genügt ein einziges Wort von mir, Habred.
Ein Wort genügt, du Elender!
Jahre später, als Somnakaj schon längst nicht mehr ihm gehörte, als man sie wegen ihrer Krankheit in das Haus der Schöns gebracht hatte und schlau dort behielt, als sie bereits Pläne schmiedete, mit dem von seiner Stichverletzung glücklich geheilten Peter Schön durchzubrennen, hatte der Ungar, er hieß Imre Schön, ihn an einem Februartag dazu verleitet, mitzukommen in dieses schmucke Gebäude, in dieses wunderschöne Haus. Und er war ihm wie ein erbärmlicher Hund gefolgt. Na schön, er keuchte nicht ohne Grund hinter dem Gelehrten her! Gilagóg ahnte damals, dass Erde und Himmel Zeuge eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens würden. Ja, er würde die Weltgeschichte der Zigeuner in diesem prächtigen Haus zu erzählen beginnen, die Menschen sollten ihn hören und sehen, er würde ein richtiges Publikum haben! Natürlich beschenkte er bis dahin dieses oder jenes Ohr mit einigen Geschichten. Einmal hatte er auch Barka etwas erzählt, nicht lang nach ihrer Ankunft, und schon damals hätte er begreifen können, dass etwas Schreckliches mit ihnen geschehen würde. Barka spuckte ihm nach, sie hätte ihm ins Gesicht beißen wollen, doch das machte nichts. Barka spuckte auf alles, sie wünschte der Welt die Pest, denn das Unglücklichsein hatte ihr den Verstand geraubt.
Gilagóg hätte nicht im Traum gedacht, dass er es in dem prächtigen Haus, auf dem blumengeschmückten Podium neben Imre, so leicht haben würde. Dass er sich hinter den Tisch stellen und zu sprechen beginnen würde und die Worte so unwillkürlich und natürlich aus ihm strömen könnten. Wasser, Feuer, Wind schienen aus ihm zu sprechen! Der gewaltige Himmel war seine rufende Kehle!
Vor ihm röteten sich die Gesichter, einzelne färbte der Zorn, die Wut, die Schande violett, andere weiß. Sie beschwerten sich, standen auf, doch das interessierte ihn nicht, er kümmerte sich nicht um sie. Er war Gilagóg, der Zigeunererzähler! Seltsam war nur, dass er, als er geendet hatte und vom Podium stieg, sich auf einmal an nichts mehr erinnerte. O weh, er wusste nichtmehr, was er ihnen gesagt hatte! Er wusste nicht, mit welcher Zigeunergeschichte er sie aufgeklärt hatte! Einige lärmten immer noch, nicht einmal das interessierte ihn, er war es gewohnt, bedroht und beworfen zu werden.
Die vornehmen ungarischen Herren und die Herren aus Wien, sollten sie ihn doch am Arsch lecken! Auch der eklige Gardehusar, der ihn, während Imre Schön sprach, arglistig aus dem wunderschönen Gebäude hinausstieß und -trat. Unstillbarer Hunger befiel ihn, auch Habred zappelte unruhig in seinem Schoß. Er bibberte, dabei war es überhaupt nicht kalt. Er strich noch in den Straßen herum, der Hund hechelte neben ihm her, schließlich ging er nach Hause, setzte sich ans Feuer, warf feuchte Zweige in die Flammen, aß Brotrinde und in der Glut gebratene Kartoffeln und grübelte im dichten, weißen Rauch darüber nach, was er ihnen gesagt hatte. Was waren diese Leute für ihn? Ein paar Privilegierte. Was hatte er ihnen gesagt, was?! Alle Sicherheit verließ ihn, der Schweiß brach ihm aus. Er wusste, dass er lange und schön zu ihnen gesprochen hatte, wie sonst zu sich selbst, trotzdem erinnerte er sich nicht an seine Worte. Doch das war kein Vergessen. Etwas anderes war geschehen, eine Kraft, die bösartiger war, hatte die Erinnerung ausgelöscht. An das Vergessen konnte man sich gewöhnen, damit lebten sie Tag für Tag, sie vergaßen, dass sie etwas gehabt oder dass sie nichts gehabt hatten, sie vergaßen das Land, aus dem sie ausgebrochen waren, den Weg, auf dem
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