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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Woiwode, wir sind da!, sagte der Doktor später.
    Wo denn, wo, du Schwindler, du Schlaumeier von einem Deutschen?!
    Wir sind in Wien, mein Lieber, kicherte der Doktor und warf dem Postkutscher ein Geldsäckchen zu.
    Zwar hatte er in Sarajevo Gelegenheit gehabt, zahllose schlanke, bis zum Himmel ragende Moscheen zu bestaunen, doch so mächtige Gebäude wie in diesem Wien hatte er noch nicht gesehen. Hier hatte man die Häuser sicher gemästet undgebleicht. Was wohl so klotzige Häuser fressen?! Menschenfleisch, kleine Mädchen und Jungen fressen sie mit ihren großen Toren, mit diesen schrecklichen Fenstern! An diesen Häusern war alles von Gold und Silber, der Schnickschnak und die Schnörkel, die Dachrinnen und die Geländer, an den Mauern fletschten fürchterliche wilde Tiere die Zähne.
    Heiliger Devel, wie viel das dicke Pferd eines Droschkenkutschers kackte!
    Doch der Doktor unterbrach seine staunende Betrachtung.
    Schnell, schnell, Gilagóg, wir werden erwartet!, und er zog ihn mit sich. Aus dem Gewimmel des Hauptplatzes gelangten sie in ein enges, gebogenes, dunkles Gässchen, dann folgte ein helleres Pflaster, und schon standen sie vor dem großen Tor eines Gasthauses. Es hatte ein schönes Schild, das mit bunten Buchstaben bemalt war, Gilagóg konnte sie nicht lesen. Eine ganz seltsame Stille legte sich über sie. Auf den Steinen des Plätzchens putzten sich Tauben, eine Katze, sich an den Boden drückend, lauerte ihnen auf. Ein alter Mann kehrte träge zusammen, hin und wieder spuckte er zur Seite. Gilagóg wusste bereits, dass sie vor einer Zigeunerkneipe standen. Und nun traten sie ein, sie waren drinnen! In diesem Wiener Gasthaus konnte man Zigeunerbraten, Taubenfleisch und Rehrücken verzehren! Lampen von Melonengröße verströmten Licht, von den Wänden starrten Hirschköpfe und Wildschweine, ausgestopfte Eulen und stolze Adler saßen auf glänzenden Haken und silbernen Haltern. Die eine Wand war blau gestrichen, und über die blau schimmernden Felder, in der blauen Wüste, unter dem blauen Himmel zog ein blaues Volk dahin, heimatlose Zigeuner, sie waren es. Entlang der Straße standen Könige, Maharadschas, Prinzen, dort stand auch Jesus, und dort am Straßenrand stand auch Gott selbst.
    Eine hünenhafte Frau mit breitem Gesicht beugte sich über Gilagóg, Vater, Väterchen, flüsterte sie.
    Doch Gilagóg konnte nur von ihren Lippen lesen, so viel Gold hatte sie an sich, mehrere Halsketten und glitzernde Ohrgehänge, an jedem Finger glänzte ein Ring. Das Gold schepperte und klimperte, die Stimme der stattlichen Zigeunerfrau mit dem breiten Gesäß war nicht zu hören, doch sie sprach zu ihm.
    Ach, lieber Papa, du siehst, wie schön die Welt ist, du siehst, es hat sich ausgezahlt, dass König Wind von mir gegessen, dass König Frost von meinem Fleisch gekostet, dass der fürchterliche König Feuer zwischen meinen Schenkeln genascht hat!
    Und die Fremde sagte, es gibt eine Wahrheit, Vater!
    Auch ein Zigeuner kann die Wahrheit finden, Vater!
    Komm, du hast viel gegessen, schlemmen solltest du nicht mehr, ich bringe dich zu Bett, Vater!
    Das frisch überzogene Bett knisterte wie jungfräulicher Schnee, Gilagóg warf sich von einer Seite auf die andere, das Bett war ihm zu bequem, roch zu gut.
    Als Gilagóg nach langer, fiebriger Krankheit starb, begruben ihn die Zigeuner neben Habred dem Wahrhaftigen, am Rande der Ansiedlung stand ein schlechtes, schiefes Kreuz, häufig ließ sich eine Krähe darauf nieder und krächzte und krächzte. Der deutsche Doktor hatte ihn mit einem scheußlichen Pulver und einer gallenbitteren Flüssigkeit geheilt, weil er vor Schmerzen die Nächte durchbrüllte. Dann spuckte er Schaum und wurde ruhig. Gilagóg fiel in schöne Benommenheit, sein Kopf kippte zur Seite, er murmelte ihnen etwas vor. Er erzählte die Weltgeschichte der Zigeuner.
    Wer weiß, warum, der neue Woiwode befahl, dass alle zum Begräbnis kommen sollten, ausnahmslos, auch die Kinder, auch die übrigen Zigeuner der Stadt, auch die Musikzigeuner, die Hufeisenzigeuner, die fischenden und die schmiedenden Zigeuner. Sie wagten nicht, nein zu sagen, denn inzwischen hatte sich die Nachricht verbreitet, aus Gilagógs Seele sei eine schwarze Krähe geworden, die merke es sich, wenn jemand ihm nicht Respekt erweise. Ein kalter Wind zauste sie, die Schritte pochten auf frostiger Erde. Ein Feuer tat not, sie trugen neben dem Grab viel Holz zusammen, dann sahen sie zu, wie die mächtigen Flammen blau wurden. Gilagóg

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