Blumenfresser
sie bis hierher gekommen waren, sie vergaßen ihre Feinde und ihre Freunde.
Gilagóg hatte das Gefühl, dass ihn seine Sinne, seine Augen, sein Mund, seine Ohren im Stich gelassen hatten. Nach einer Flasche Wein fasste er den Entschluss, in die Stadt zurückzugehen und Imre Schön zu fragen, wovon seine Geschichte gehandelt hatte. Der Gelehrte würde es ihm sagen. Doch da tänzelte ein Bursche zu ihm, ein schöner, kräftiger, und verbeugte sich mit höhnischem Blick.
Stimmt es, dass du über die Zigeuner gesprochen hast, Gilagóg?
Er erhob sich, von neuem fühlte er sich stark, groß, und wieder sprach er, und wieder wusste er genau, wann seine Worte sangen, wann sie weinten, wann sie ausgelassen feierten und wann sie wehklagten. Alles wusste er genau.
Doch der lange Bursche mit dem dunklen Gesicht grinste nur, tänzelte zu den Flammen der Feuerstelle zurück, sogleich brach Gelächter aus.
Ihr stinkenden Hurensöhne von Zigeunern!, kreischte Gilagóg.
Doch die lachten nur schallend über ihn.
Wenn ihr doch verrecken würdet!
Bloß nicht, Alter, bloß nicht, ein anderer junger Mann kam auf ihn zu, er wieherte immer noch.
Lacht mich nicht aus!, flehte Gilagóg, er weinte bereits.
Der Mann wandte sich um, hört ihr?, er bittet uns, wir sollen nicht über ihn lachen!, worauf eine gurgelnde Lachsalve die Antwort war, einer der Zigeuner sprang auf und begann einen höhnischen Tanz, er hüpfte herum und brüllte dabei, Zigeuner hin, Zigeuner her! Er verhöhnte Gilagóg, ja natürlich, denn der war niemand und nichts mehr, er hatte keine Macht und keine Stimme. Aber natürlich war das nicht ganz richtig. Denn wen man verhöhnen kann, der ist ja doch jemand!
Stimmt’s, Masa?
Das Tier röchelte unheilverkündend, sein Fell sträubte sich.
Auch am nächsten Tag änderte sich nichts, das Höhnen hörte nicht auf, und es kam nur deshalb nicht zur Schlägerei, weil sie von Soldaten überfallen wurden. Das Ganze ging so schnell, dass ihnen nicht einmal zum Schreien Zeit blieb. Ein Gewehrkolben traf ihn zwischen den Rippen, vielleicht bekam auch sein Kopf einen Schlag ab, ihm blieb die Luft weg, dann droschen sie auf seinen Rücken ein. Er brach zusammen, minutenlang sah er nichts, wälzte sich im Schlamm. Frauen liefen kreischend herum, ein paar Schüsse krachten.
Er hörte das Winseln des Hundes, dann sein Röcheln.
Er hörte, dass Masa verendete, sein Hund. Er kroch zu ihmund leckte ihm das Gesicht ab, dann war es bald vorbei mit ihm.
So ging sein Masa noch einmal zugrunde.
Nun konnte niemand mehr Masa sein!
Er hörte den Aufschrei von Barka, die hexenhafter war als jede Hexe, sie hasste den Morgen und die Abenddämmerung und verachtete alles und alle. Als die Soldaten sich getrollt hatten, Gilagógs Schmerzen nachließen und er sich bereits aufrappeln konnte, suchte er zwischen den Büschen nach dem Mädchen, er stolperte die Blutspuren entlang und hörte vielleicht gar nicht ihr Keuchen oder ihr fluchendes Wehgeschrei, sondern das Rieseln ihres Blutes. Barka lehnte sitzend am glitzernden Stamm einer kahlen Robinie, sie fluchte nicht, sondern lächelte sanft, vielleicht hatte sie nichts sonst gebraucht, um das Gute zu finden. Gilagóg blinzelte verlegen, er wischte sich die blutige Stirn ab, sie war schöner als sämtliche Zigeunermädchen, die er je gesehen hatte. Sogar noch schöner als Somnakaj. Warum hatte er das bisher nicht bemerkt?! Warum hatte er nicht gesehen, dass diese elende Weibsperson auch schön und gut sein konnte?! Hätte er es bemerkt, würde sie vielleicht noch leben! Vielleicht hatte sie ihr Leben lang auf den Tod gewartet, der endlich alles Schlechte und Böse aus ihr vertrieb. Barka wurde vom Tod geheilt.
Die Zwillinge saßen nebeneinander und sahen ihre Mutter an, sie zitterten und hatten die Münder aufgerissen, Speichel und Rotz flossen, Barkas Blut war auf ihren Gesichtern verschmiert, sie schluckten immer gleichzeitig. Die Zwillinge, Barkas fürchterliche Sprösslinge, weinten nicht. Und Gilagóg ließ zu, dass sie ihre Mutter ansahen. Er ließ zu, dass sie sahen, wie das Leben sie verließ, wie der Lebensfalter mit den geblümten Flügeln aus ihren Augen entflog, wie das gestickte Tuch aus ihrem Mund wehte. Das Bild, dass ihre Mutter schön war, sollten sie in Erinnerung behalten! Das half ihnen vielleicht, sie sahen Barka glücklich, und davon würden auch sie das Gute finden.
Hör mich an, Barka, ich bin es, der von den Zigeunern erzählt! Ich erzähle und sage alles über
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