Blumenfresser
Kárász-Haus wurde aus Pfosten und Schilfgeflecht eine Csárda errichtet, auf den Tabletts lagen entschuppte Karpfen und Welse. Ein gewaltiger Sterlet hing an einem Haken, er zappelte noch. Einige schniefende Küchenhilfen putzten Zwiebeln. Den Riesenkessel hatte man aus Wien bringen lassen, sich langsam im Kreise drehend kochte das Fischfleisch in seiner roten Hölle. Die Pechfackeln für das abendliche Fest hatten Herrn Bergers Lehrlinge angefertigt. Berger prahlte, die Fackeln seien so hell wie diejenigen, die für Kossuth die Nacht von Szeged erleuchtet hatten. Auch das – den gescheiterten Reichsverweser zu erwähnen – war bereits wieder möglich. Die Schulen der Stadt wurden geschmückt, Blumengirlanden und Reichsfahnen in die Fenster gehängt. Die bayrische Flagge wehte neben der Fahne des Hauses Habsburg, und die Schüler grölten kaisertreue Lieder. Um die Mittagszeit, als man schon sicher wusste, dass der Herrscher nicht mehr weit entfernt war, wurden alle möglichen Generalproben abgehalten.
Wochenlang hatte man das Ufer saubergemacht. Unbrauchbare Kähne mussten von ihren Besitzern an Ort und Stelle zu Kleinholz verarbeitet werden. Das Maihochwasser, das die Ankunft des Königs um einige Wochen verzögert hatte, war endlich abgezogen, und der Dämme brechende Marosch, die Hauptgefahrenquelle, war zu einem harmlosen, sanften Flüsschen geworden. Die Eselskarren, die Wasser transportierten, wurden in Seitengassen verbannt, von der Theiß angeschwemmter Unrat weggeschafft. Unzählige Wagen brachten Erde zum Hauptmarkt, der Schlamm verschwand, innerhalb von ein, zwei Tagen hatte das warme Wetter den Platz getrocknet. Unvermutet stellte sich heraus, dass der Herrscher die Geheimnisse der Szegeder Seifensiederei kennenzulernen wünschte. Im schweren Dampf witzelten die Lehrlinge, Ihre Majestät solle bloß nicht versuchen, nach einer ungarischen Seife zu greifen, sie würde ihmaus der Hand gleiten. Auch die jüdische Gemeinde verhehlte ihre Freude nicht, seit Wochen wurde an einer Ehrenpforte für den Monarchen gearbeitet, das Ziel war natürlich, die am Bahnhof errichtete an Pracht zu übertreffen. Das gelang auch, die Kultusgemeinde hatte ein ansehnlicheres Tor geschaffen als die Stadt, nur war eben Franz Joseph nicht neugierig darauf, er kam gar nicht bis zu ihr hin. In der Eisenbahnstraße wurden einige Krakeeler festgenommen und die Patrouillen verstärkt, öffentliche Plätze wurden unverhohlen von Spitzeln überwacht. Wenn jemand zu den Tauben auf den Erkern des Rathauses hinaufblickte, mochte er meinen, auch diese seien nur hingemalt.
Vom Bahnhof her war ein Brausen zu hören, die Kutsche des Herrscherpaars war bereits auf dem Weg zum Rathaus.
Imre und seine Begleitung wurden mehrmals kontrolliert, aber natürlich immer durchgelassen, trotz der jammernden Zigeuner, deren Wagen hinterherfuhr. Klara saß nicht neben Imre, sondern ihm gegenüber, und Imre dachte, sie habe deshalb dort Platz genommen, um ihn nicht berühren zu müssen. Die Soldaten sahen meist sie an, sie war zu schön für diese Gesellschaft. Nach der letzten Ausweiskontrolle krähte Herr Schütz los.
Wer die wochenlange Verstopfung des Bürgermeisters kuriere, habe eine allumfassende Genehmigung verdient! Der Alte schwenkte sein Papier. Erlesenste Rizinusöle, Dünnschiss-Gurkenmischungen für Bären hätten nichts bewirkt! Ein manueller Eingriff sei nötig gewesen! Der Doktor zuckte theatralisch mit den Schultern, er habe nicht gesehen, wo er seinen Finger hineinstecke, er habe nur gewusst, dass es der Arsch des Bürgermeisters sei.
Imre lachte nicht, er war verlegen und schämte sich, immerzu kam ihm Habred in den Sinn, ach, der Unglückliche, was hatte er gerade jetzt umkommen müssen! Er war ja seinetwegen gestorben! Den Doktor schien sein Tod nicht zu interessieren. Herr Schütz verströmte eine böse, unangenehme Energie, trotz seiner Blindheit und seines Alters.
Gebt mir Geld!, sagte Imre leise, worauf Herr Schütz ihm einen Blick zuwarf, dass er sein Leben darauf gewettet hätte, der Doktor sei nicht blind, sondern sehe, viel besser als er selbst.
Glaubst du, mir tut es nicht weh?!, schnarrte der Alte klagend. Imre blieb keine Zeit zu antworten, sie hielten plötzlich an.
Die neue Wohnung hatte Klara oberhalb des Hauses mit dem Löwen, am Beginn der Kalvarienbergstraße gemietet. Das schmächtige Pferd hob den Schwanz, es kackte. Imre betrachtete das eilig errichtete Mietshaus, der Hof war von einem Lattenzaun
Weitere Kostenlose Bücher