Blumenfresser
die Ställe begrub. Er kam nicht, weil man ihn gerufen hatte, und er ging nicht fort, weil man ihn wegschickte. Er war hier, weil er hier sein wollte.
Ich beneide dich, brummte Peter. Er kaute an einem Stück Brotrinde, als wäre auf der Hochzeitstafel nichts anderes zu finden gewesen.
Imre sah ihm in die Augen. Das, was du willst, nimmst du dir.
Ich nehme es und gebe es zurück. Ich gebe es immer zurück, Peter lächelte Imre an und tätschelte ihm die Wange. Aber auch das tat ein wenig weh.
Ich habe von Mutter geträumt.
Imre sagte nichts. Ihre Mutter, ach ja, wenn sie hier wäre! Ihre Mutter war fortgegangen, hatte sie verlassen. Er dachte an ihre weiche Hand, ihre letzte Berührung. Dann sah er den Vater, wie er sich über den Ofen beugte und Schriftstücke ins Feuer warf.
Mutter lebt, murmelte Peter, ich weiß, dass sie lebt.
Das sagst du immer, nickte Imre.
Ich habe mich umgehört, Bruder, sie könnte in Wien sein.
Sie mietet ein Appartement in der Burg, sonntags geht sie im Grün des Praters spazieren, im cremefarbenen Kleid und mit Sonnenschirm, Imre versuchte, höhnisch zu klingen.
Das glaubst du doch selbst nicht, knurrte Peter, worauf Imre gereizt auflachte und ihn am Arm packte.
Was könnten wir ihr sagen, wenn sie plötzlich vor uns stünde?! Guten Tag, gnädige Frau, Sie sind unsere Mutter, doch leider haben Sie uns an einem Frühlingsmorgen verlassen. Wir haben viel an Sie gedacht, selbst als erwachsene Menschen verzehren wir uns nach Ihnen, Sie fehlen uns immer schmerzlicher, wir haben Himmel und Erde nach Ihnen abgesucht, in Wien und …
Hör auf! Peter schlug jähzornig in die Luft.
Wie du wünschst, Imre fischte einen Zigarillo aus der Weste. Peter kam ihm so nahe, dass er sich fast die Wimpern verbrannte.
Darüber darf man nicht spotten, zischte er. Wir spotten nicht über das, was wir verloren haben, Bruder. Was fort ist, das ist heilig.
Die Wahrheit ist nicht heilig, bemerkte Imre, es gibt zu viel davon.
Unsere Mutter war heilig, sagte Peter.
Imre blies den Rauch weg, wenn du sie findest, sag mir Bescheid. Wir besuchen sie, unterhalten uns mit ihr, und wenn du willst, holen wir sie zurück.
Aufgebracht stürzte sich Peter zurück ins Getümmel, er trank einen Palinka nach dem anderen, um dann eine Dame um die Taille zu fassen und sie zum Tanz zu führen. Imre stand noch lange draußen, die Nachtluft strich ihm angenehm über die Stirn. Hin und wieder legte der Wind zu, als hätte er in der Dunkelheit etwas zu besorgen. Klara kam zu ihm heraus, sieh mal, sagte sie, dieser verrückte Peter hat mich nur angefasst, und schon ist mein Handgelenk blau.
Geht es deinem Vater besser?, fragte er.
Sie haben ihn hingelegt, sagte Klara, dann zog sie ihn keinen Widerspruch duldend zurück in den Festsaal. Sie tanzten, das wollten sie jetzt doch nicht missen. Hin und wieder wechselten Imre und Peter Blicke, doch sie redeten nicht, Peter mochte noch so wütend auf ihn sein, morgen würde er sich wieder beruhigt haben, denn er war gar nicht fähig, längere Zeit böse zu sein. Imre nahm seine ganze Geschicklichkeit zusammen, um Klara zu folgen, die sich mit Leidenschaft im Kreise drehte und zwischendurch zur Entrüstung einiger alter Damen Likör trank, um sich schließlich einen Bierkrug zu schnappen und wie die Männer einen kräftigen Zug zu nehmen.
Klaras klebrige Lippen berührten seinen Nacken.
Wirst du auch beobachtet?
Ich verstehe nicht, er sah ihr in die Augen.
Wirst du etwa nicht beobachtet?
Von wem?
Ich weiß nicht, murmelte Klara, egal.
Er kam zu dem Schluss, dass sie wohl recht hatte, sie wurden tatsächlich beobachtet, ein aufdringlicher, krankhafter Blick schien ihnen zu folgen. Es wurde Nacht, Bekannte und Verwandte verabschiedeten sich nach und nach, nur Wurzelmama und ihre Gesellen blieben. Nero Koszta musizierte leise, Blatt fielen die Augen zu, nur Wurm hielt unermüdlich Ausschau, ob noch irgendwo etwas zum Knabbern übrig geblieben war.
Die Dinge geschehen nicht nur einmal, erklärte Imre, seine Worte langsamer als sonst setzend, folglich sterben wir auch nicht nur einmal.
Blödsinn, sagte Klara müde.
Ein Stuhl krachte, Peter rappelte sich hoch, mein Bruder hört sich gerne reden, aber seine Mutter interessiert ihn nicht! Der Herr Wissenschaftler interessiert sich nur für sich selbst!
Imre nickte, ja, schon möglich, dass ich tatsächlich auf mich selbst am neugierigsten bin. Aber immer wenn ich mich selbst sehen will, sehe ich euch an!
Frau Léni
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