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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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wussten. Er machte auch über Imre Schön und den Doktor Meldung, er schrieb, dass sie sich vor der Einsamkeit fürchteten. Sie hatten Angst vor der Eisenbahn! Dabei drängte es keine Faser in ihm zur Spitzelei, andere Denunzianten hatten sicherlich Vergnügen daran, sie betrachteten den Verrat als ihre Pflicht. Kigl pfiff auf den rebellierenden Kossuth, und er pfiff auch auf Ihre Majestät den jungen Kaiser, er pfiff auf das Reich, er war Spitzel geworden, weil er Angst hatte und weil sie seinen verschwundenen Sohn, der seit den Scharmützeln im Süden als vermisst galt, ins Spiel gebracht hatten. Sie versprachen, den Jungen aufzutreiben, von dem er seit zwei Jahren nichts gehört hatte. Vielleicht lebte der arme Naze gar nicht mehr! Manchmal genügte ein Gedanke andie bald fällige Meldung, und schon rannte er zum stillen Örtchen. Dann sagte er sich, dass der Arsch der klügste Körperteil des Menschen ist. Der Mund sagt nicht, was wir sagen wollen. Das Auge sieht nicht, was geschieht. Das Ohr hört das Wichtige nicht. Der Gedanke fördert nicht das Wissen, sondern schafft Missverständnisse, doch der Hintern produziert nichts anderes als Kacke, immer nur Kacke, deshalb ist unser Hintern unser zuverlässigster Körperteil! Er lügt nicht wie das Auge, die Nase oder das Ohr, oder das Herz!
    Wenn aber der Tag der Zusammenkunft nahte, begann er darauf zu warten, dass es endlich geschah, immer stärker wurde das Verlangen zu reden, dem glattrasierten Herrn gegenüberzusitzen, während dieser aufmerksam und anerkennend zuhörte, wie er Satz an Satz fügte. Kigl redete gern, und ein wahrer Schauspieler will auch seinen eigenen Tod spielen. Mehrere Jahre war es her, dass sie zu ihm gekommen waren, und während die Zeit verging, wurden ihm die Bekannten, über die er berichten sollte, immer fremder, obwohl er sich Mühe gab, belastende und kompromittierende Fakten zu verschweigen oder ihre Bedeutung herunterzuspielen. Das tat er nicht, um anständig zu sein. Sie hatten ihn angeworben, seine Ehre war dahin. Doch sein Ehrgefühl nicht, nein, nein! Man muss auch am Kreuz Haltung bewahren! Bei seinen Berichten bedachte er vieles, eigentlich formulierte er die Ereignisse um und stellte sie in das Licht seiner eigenen Auffassung. Manchmal erfand er Geschichten und zeigte nicht existierende Menschen an. Einmal erzählte er dem Herrn aus Wien, jemand sei auf der Promenade an ihn herangetreten und habe ihm ins Ohr geflüstert, dass Petőfi lebe und auf einem nahe gelegenen Gehöft den Roman des Freiheitskampfes schreibe. Immer leitete ihn das Verlangen, mit dem Stil seiner Berichte auf eine geheimnisvollere, mit Worten nicht mehr erschließbare Welt zu verweisen. Er wusste genau, auf welchen Tratsch er eingehen konnte und welche Nachricht er hingegen unbedingt verschweigen musste, weil sie möglicherweise eine Tragödie herbeiführen würde. Er setzte seinen Ehrgeiz daran,das zu meldende Ereignis, ohne dessen Gewicht zu verhehlen, auf eine Weise mitzuteilen, die statt einer als Anklage verwendbaren Gewissheit im Gegenteil Ungewissheit und Zweifel verströmte. Seine Auftraggeber konnten ihm nicht den Vorwurf machen, er meide gefährliche Themen, allein, Ede Kigl gelang es immer, den Dingen ihre Schärfe zu nehmen. Was er machte, war Kunst, Poesie! Zugleich hasste er seine bespitzelten Bekannten, er fühlte sich persönlich gekränkt, weil sie nicht fähig waren zu begreifen, für welche Bemerkungen es nur Vorladungen und Verweise gab und für welche einem Theresienstadt oder Kufstein blühte. Wie viele stellten ihre Dummheit zur Schau, und diese Tröpfe hielten es für Mut! Herren in Nationaltracht und Milchgesichter spuckten große Töne, sagten, was ihnen in den Sinn kam, und er, Kigl, musste die Plumpheit ihrer Äußerungen ausbügeln. Wer war ihr Retter? Ihr Spitzel! Er war der Paria, der Ausgestoßene, der Verachtete und trotzdem der höherstehende Mensch! Ganz wie Jesus, tatsächlich, ganz wie Jesus!
    Er lächelte voll Bitterkeit, hob das Weinglas zum Mund und trank ausgiebig.
    Die Stilisten wurden von den Meistern der Praxis verachtet. Dabei waren die Stilisten diejenigen, die die Welt erträglich machten. Seit der Erschaffung der Welt waren alle bedeutenden Denker Stilisten! Luzifer, der gefallene Engel, war ein Stilist, genauso wie Jesus und Mohammed. Am meisten aber Judas, niemand sonst ist tragischer mit der bitteren, aber wohltuenden Tatsache konfrontiert worden, dass immer geschieht, was geschehen muss, dass jedoch

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