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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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in dieser explosionsartig hereinbrechenden neuen Ordnung für Wesen wie Wurzelmama, Blatt oder Wurm kein Platz mehr sein wird?, fragte Imre.
    Das befürchte ich, hüstelte Kigl.
    Von ihrem Funktionieren berauscht, frisst die Materie die Geschichten auf, fuhr Imre fort, und wenn auch im Laubengang von diesem und jenem Haus noch die trocknenden Paprikaschoten musizieren, so wird es immer weniger Menschen geben, die diese Klänge verstehen. Und der Maßstab des Schönen wie auch des Hässlichen wird ein anderer sein.
    Gift würde ich nicht darauf nehmen, bemerkte der Doktor.
    Imre schwieg.
    Sie meinen, grübelte der Doktor, dass die Stille der Kirchen, und dabei ist es einerlei, ob Sie an christliche oder jüdische denken, all diesen Veränderungen nicht widerstehen wird?
    Imre schien das gar nicht zu hören, er redete sich in Rage.
    Warum ist Nero Koszta fortgegangen und hat sich unter die Erde begeben?! Nur um sich zu paaren?! Unsinn! Seit Jahrhunderten hat er in dieser Gegend musiziert, und wenn nicht er, dann hat einer seiner Brüder oder Verwandten die Nacht vollgesummt! Wurzelmama ist fort, und vielleicht sehe ich sie nie wieder!
    Imre lachte bitter und schlug mit der Faust auf den Tisch.
    Nicht so laut, mahnte Kigl erschrocken.
    Der Doktor fingerte an seinem Bart herum, Frau Léni stieß die Küchentür auf und kam übellaunig mit den Braten hereingelatscht.
    Sehen Sie, wechselte der Doktor das Thema, selbst wenn ich an den ganzen Erdkreis denke, es wird weder grundlegend besser noch schlechter werden. Es wird radikal anders, das ist alles. Doch wenn wir in diesem brodelnden Anderen das finden, was wir jetzt zu verlieren meinen, wird es gut werden.
    Und wenn wir es nicht finden?, widersprach Imre.
    Dann unsere Nachkommen, der Doktor zuckte mit den Achseln.
    Natürlich sprechen wir hier nicht vom Belagerungszustand.
    Auf keinen Fall, sagte der Doktor.
    Sicher nicht?, fragte Kigl vorsichtig.
    Wir sprechen von der Zivilisation, warf Imre ein.
    Ja, ich denke an die Herausforderungen der Zivilisation, pflichtete der Doktor bei.
    Ich weiß, Doktor, erläuterte Imre, das Glas in der Hand, Sie sehen diese Frage anders, Sie haben mehr Nüchternheit. Ich dagegen verwende, wie Sie sicher bemerkt haben, immer noch Feuerstein und Zunder, Streichhölzer kann ich nicht ausstehen. Eine schlechte Gewohnheit. In den Anfängen wird die Zivilisation mehr Opfer als Gewinner haben und mehr Verzicht von uns fordern, als sie uns Vorteile bringt. Doch ich kann nur immer daran denken, dass in einem zivilisierten Land auch ein einziges Menschenwesen zu viel sein wird. Es wird die Tragödie des Menschen sein, dass er außerstande ist, sein einmaliges Leben auszufüllen, dessen Formen, weil er sich ständig von sich selbst abspalten muss, die Außenwelt ihn in ihren Bann schlägt. Und es wird ihm bewusst, dass er im Brennpunkt der Veränderungen steht − das Leben, das er als Säugling begonnen hat, wird mit dem Leben, von dem er eines Tages Abschied nehmen muss, nur noch entfernt zu tun haben. Bis zur heutigen Zeit repräsentierten die Requisiten unseres Lebens die Beständigkeit, die Vergangenheit reichte bis zur Gegenwart, und die Gegenwart erzählte auch von der Zukunft. Unsere Häuser, unsere Werkzeuge und unsere Geschichten waren dieselben, die wir von unseren Vätern bekommen hatten und die dann auch wir unseren Nachkommen hinterließen. Jetzt wird die Bühne unseres Lebens szenenweise umgestaltet. Früher waren die Kulissen bei der Geburt ähnlich wie am Schauplatz der Letzten Ölung. Erinnern Sie sich, Doktor, was Petőfi geschrieben hat? Unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart sind Geschwister, trotzdem kennen sie einander nicht! Die neuen Kräfte wollen den Menschen zur Gänze,seine Seele, seinen Körper, seinen Geist, seine Kraft, seine Geschicklichkeit, seinen Mut, seine Feigheit, seine Schwäche! Wir werden mit Haut und Haaren einverleibt, damit wir dem Fortschritt nicht im Wege stehen! Unseren Wahnsinn wird hingegen niemand brauchen! Der Wahnsinn wird unsere Zuflucht sein! Während die sogenannten Normalen sich atemlos in dem Spiegel suchen, der sich über den Himmel spannt, jedoch nur Höllenschatten sehen, leben wir glücklich im Hinterhof des Wahnsinns. Was aber, Doktor, wenn ich mich irre, und sie wollen gerade unseren Wahnsinn haben?! Wenn die neue Ordnung auf nichts anderes als unseren Irrsinn Anspruch erhebt?
    Herr Schütz schwieg lange, in seinem Gesicht zuckte kein Muskel, es rötete sich nur, weil er lange nicht

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