Blumenfresser
haben!
Der Herr aus Wien, da er auch selbst von weit unten kam, verachtete die Menschen in den Ämtern zutiefst, doch er vergaß nie, dass die Herren mit den Ärmelschonern auch seinen Zwecken dienten, indem sie die von ihm beschafften Berichte sortierten und einordneten, genau und gewissenhaft, bei Regen, Schnee oder auch schrecklichen Kopfschmerzen. Doch Sklaven waren sie schon!, dachte er. Ihre wichtigste Eigenschaft war ihre Unbegabtheit.
Ist es wichtig, wer es wagt, einen Sattel zu verwenden, wenn das verboten ist?! Ist es wichtig, wer Heine zitiert, diesen geborenen Rebellen, der vor Rührung Bauchgrimmen bekommt, wenn er ein ungarisches Wort hört?! Ist es wichtig, dass über Petőfi und Kossuth getuschelt und am fünfzehnten März auf dem Marsplatz Ball gespielt wird?! Ist es wichtig, wer mit so einer Revolutionspfeife qualmt und wie viele auf der Poststation mit einem nationalfarbenen Spitzentaschentuch winken?!
Der Herr aus Wien lachte. Vor einigen Jahren, als er seine Laufbahn begann, aber seine Pfiffigkeit und sein ungeheurer Instinkt bereits bekannt waren, hatte Feldzeugmeister Kempen persönlich ihn rufen lassen. Was für eine Ehre! Er war kaum älter als zwanzig! Er war ja noch ein Kind, mit den Eierschalen am Hintern! Als er dann vor dem furchterregenden Polizeichef stand, sah der ihm lange in die Augen.
Hassen Sie sie?, fragte er schließlich.
Er senkte den Kopf, wen meinen Sie, Herr Feldzeugmeister?
Die Individuen, die zu beobachten und erfassen Sie verpflichtet sind. Die die Ordnung und die Gesetze des Reiches gefährden. Die Verbreiter von abgestandenen und dummen Idealen, unsere Feinde, der Freiherr sprach mit fast schon monotoner Stimme.
Nein, Herr Feldzeugmeister, ich hasse sie nicht, antwortete er und lächelte, um es sogleich zu bereuen, denn so offenherzig durfte man nicht sein.
Was empfinden Sie dann für sie, Verachtung, Mitleid?
Ich fühle nichts Besonderes, wenn ich an sie denke, Herr Feldzeugmeister. Ich messe dem Umstand, dass das Schicksal sie auf die dunklere Seite des Lebens verschlagen hat, keine besondere Bedeutung bei. Ein Urteil über die Entscheidungen des Schicksals zu fällen, habe ich kein Recht. Ich mache Jagd auf sie, also werde ich so wie sie.
Ich verstehe Sie nicht, sagte Kempen missgestimmt.
Der Herr aus Wien antwortete leise und selbstsicher.
Ich finde meine Arbeit aufregend, Herr Feldzeugmeister. Wäre es nicht so, hätte ich sie schon aufgegeben.
Kurz gesagt, Sie genießen sie.
Ja, mein Herr. Ich genieße es, dass ich durch sie existiere. Ich glaube auch, dass das ein … ein modernes Gefühl ist. Dass es so etwas in der Geschichte noch nicht gegeben hat, noch nie hat ein Staat seinen Bürgern soviel Aufmerksamkeit gewidmet wie wir. Ich bin ein Teil dieser Aufmerksamkeit und musste alle meine persönlichen Eigenarten ablegen, um meinem Land zu dienen.Diese Entscheidung war jedoch nicht nur mit Verzicht verbunden. Ich weiß, dass ich so werden musste wie sie, ich musste lernen, mit ihren Köpfen zu denken, mit ihren Seelen zu fühlen, und das ist, ich kann es nicht leugnen, eine sehr aufregende Sache.
Kempen schwieg, laut tickte die Wanduhr über ihm.
Gut, schnarrte er schließlich.
Der Herr aus Wien wusste, dass er seine Antwort gut formuliert hatte. Vielleicht hatte er zu lange geredet, aber alles war in Ordnung. Hätte er nicht an sich geglaubt, wäre er nicht so weit gekommen. Sein Vater war ein trunksüchtiger Hausbesorger in einem baufälligen Mietshaus gewesen, wo wegen der trocknenden Häute und der Schusterwerkstatt immer ein penetranter Gestank in der Luft hing. Der Vater war ein guter Mensch, doch haltlos wie ein Sack Lumpen. Und er selbst hatte den Entschluss gefasst, nicht das Schicksal der Lumpen zu wählen, sondern so zu werden wie die Klinge spanischer Degen, fein, biegsam – und tödlich. Seine Mutter war eine ordentliche, anständige Frau gewesen und hätte ein besseres Schicksal verdient gehabt, doch sie hatte sich abgefunden, sie gab ihre Träume auf und vertrocknete gehorsam neben dem Vater. Und er absolvierte die Schule mit ausgezeichnetem Erfolg und war glücklich, in einem Internat Aufnahme zu finden. Bis heute aber verfolgte ihn das nächtliche Quietschen und Zuschlagen des Tores, das Rasseln der Schlüssel, das betrunkene Gemurmel des Vaters. Der Herr aus Wien war ein außergewöhnlich guter Schüler gewesen und hatte sich sehr bald am Ort seiner Sehnsucht, in den Diensten der Wiener Polizei wiedergefunden. Doch vor seinem
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