Blumenfresser
leergefegt. Durchnässt kamen sie an, der Posten wartete sicher unter irgendeinem Haustor auf das Ende des Unwetters.
Das habe ich geschwärzt, sagte der Archivar, in einem Heft blätternd, er war ein bejahrter Mann, Tränen tropften ihm in den weißen Bart. Herr Schütz spuckte in sein Taschentuch. Imres Hand ballte sich zur Faust. Zwischen den Blättern eines Tagebuchs war Farbe herausgeflossen und geronnen. Wie eine gewaltige, festhängende Träne. Er wandte sich ab, man sollte nicht sehen, dass er schäumte in seiner Ohnmacht.
Im Dezember 1850 und dann nach jenem trüben Silvester, an dem er sich erneut mit Klara zerstritt, ging er oft zur Behörde, ohne jeden Erfolg. Doch Anfang Februar, nicht lange nach dem Besuch bei Kigl, passierte etwas. Es fiel kein Schnee, sondern kalter, widerwärtiger Regen. Auf dem Korridor stand das Wasser, graue Pfützen reihten sich aneinander. Auch jetzt standen längs der Wand Menschenschlangen, doch Imre wurde sofort hereingerufen. Mit nassem Hut trat er ins Zimmer.
Der Beamte blinzelte, ob denn der Herr Professor das Stempelmarkengesetz nicht kenne?
Imre zuckte mit den Schultern, er hatte keine Ahnung. Der Beamte erklärte ihm, dass Eingaben nur mit einer Stempelmarke versehen eingereicht werden dürften, doch glücklicherweise habe er gerade selbst eine solche Marke bei sich, er kramte sie hervor und vervollständigte das Gesuch. Dann eilte er davon, um Augenblicke später mit der Genehmigung zu erscheinen, die das Akademiemitglied Professor Imre Schön berechtigte, am bezeichneten Tag des laufenden Monats in dem zu diesem Zweck gemieteten »Casinogebäude des Stadtteils Palánk« einen Vortrag »mit naturwissenschaftlicher Thematik« zu halten. »Besonderer Vermerk: Da die Veranstaltung im öffentlichen Interesse liegt, sind die Mietkosten aus der Stadtkasse zu finanzieren!«
Zufrieden studierte Imre das Blatt.
Es steht nirgends, dass ich Ungarisch sprechen darf.
Der Beamte hatte eigenhändig »Vortragsveranstaltung in einer beliebigen Sprache des Reichs« darauf geschrieben, dann ein weiterer Stempel und der Vermerk, korrigiert und ergänzt: Horsch.
Imre konnte sich nicht mehr halten vor Begeisterung. Er inserierte den Vortrag in Kigls kaisertreuem Blatt, brachte auf der Straße und in Kaffeehäusern Anschläge an, er ging auch ins Casino und begutachtete den Saal. Er konnte öffentlich Ungarisch sprechen, wo selbst im Theater nur deutschsprachige Vorstellungen gestattet waren! Als er dem Redakteur letztens im Kaffeehaus begegnet war, hatte Ede Kigl sich zu ihm gesetzt und ihn lange gemustert.
Die Kritik haben doch Sie selbst geschrieben, Herr Schön.
Ich habe sie geschrieben, Kigl, antwortete Imre, doch das ist nun schon egal, nicht?
Ich hege den Verdacht, dass Sie nicht darüber reden werden, Herr Schön, sagte Kigl, sein Blick fiel auf die Weinflasche auf dem Tisch, er schenkte sich ein.
Doch, Kigl, genau darüber werde ich reden.
Warum machen wir einander etwas vor? Der Redakteur trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Sehen Sie, ich schätze Sie wirklich. Ich habe viel nachgegrübelt, warum Sie das tun. Siehaben keine Chance. Trotzdem habe ich mir überlegt, wie ich Ihnen helfen könnte.
Sie glauben, ich bin auf Hilfe angewiesen?, fragte Imre wie beiläufig.
Es ließe sich sehr schön einrichten!, Kigl spülte sich mit dem Wein den Mund.
Imre betrachtete das rote, aufgedunsene Gesicht des Redakteurs, und Pelsőczy fiel ihm ein. Die Leute betrachteten Kigl als harmlosen Spitzel, denn die von seinen Berichten aufs Korn Genommenen hatten niemals ernsthafte Repressalien zu erdulden. Auch Imre dachte, Kigl verfüge über ein gewisses Gefühl für das in der Tiefe wirkende ästhetische Moment. Wenn seine lange, hagere Gestalt an der Straßenecke auftauchte, gewann man den Eindruck, er ziehe unsichtbare Klötze hinter sich her. Imre wusste, dass sein Sohn seit der Revolution verschollen war, und obwohl man ihn nicht für tot erklärt hatte, schwand die Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen. Klara rümpfte die Nase, als Imre von der Begegnung mit dem Redakteur erzählte. Sie hielt Kigl für eine Ratte, für einen heimtückischen Menschen, einen neunmalklugen Trinker, der seine Unbildung mit Gutinformiertheit bemäntelte. Sonst war Klara nicht so voreingenommen. Imre kam der Gedanke, dass sie in Kigl einen Rivalen sah. Vielleicht hatte sie recht. Es kam selten vor, dass sie jemanden derart unterschiedlich einschätzten.
Sag, warum verteidigst du dieses Vieh?! Warum
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