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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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bedauerst du nicht diejenigen, die er denunziert?!
    Klara redete tagelang nicht mit ihm. Sie zog den Vorhang auf, ohne zu fragen, ob ihn das Vormittagslicht störe. Sie setzte sich neben ihn auf das Kanapee und las Zeitschriften, stand auf und ließ ihn ohne ein Wort zurück, eilte durch das Zimmer, als hätte sie etwas Wichtiges zu tun. Und als sie sich ihm einmal beim Frühstück wieder zuwandte, sprach sie nur diese leisen Worte.
    Imre, ich bitte dich, tu es nicht! Ich bitte dich inständig.
    Seine Hand mit dem Messer stockte in der Bewegung. Erhatte einen Apfel geschält; ohne aufzusehen, legte er das Messer weg und begann die Schale zu essen.

Jesus und die Zigeuner
    Einige Tage vor dem Vortrag ging er noch einmal zu den Zigeunern. Gerade waren die schiefen Lehmhütten und der von schmutzigem Eis und Müll bedeckte Wasserlauf vor ihm aufgetaucht, als er einen Pfiff hörte. Gilagóg saß auf einem Baumstumpf, vielleicht in Träumereien versunken. Auf seinem schmalen, schwarzen Gesicht glänzte die gewaltige Wunde. Er war gründlich eingemummt. Am Vortag hatte das mildere Wetter noch Schnee gebracht, heute war wieder die Kälte über sie hereingebrochen. Imre setzte sich neben ihn, hüstelte, so ist das, das halbe Land im Gefängnis, die andere Hälfte in Angst und Schrecken. Die Spitzel warten auf Neuigkeiten, und die armen Zigeuner frieren am meisten. Gilagóg schnaubte auf.
    Wie geht es meiner Tochter?
    Deine Tochter, Woiwode, ist schön wie eine Blume.
    Gilagóg zappelte herum, als säße er mitten in einem Ameisenhaufen.
    Weißt du, ich habe zu viele Sorgen, er deutete mit seiner Pfeife um sich. Das größte Kopfzerbrechen macht mir Habred, der elende Bastard ist im Wachstum steckengeblieben. Seine Knochen leuchten noch, in das blau gewebte Licht mischt sich weißes Flackern, doch seine Mähne wächst so schnell, dass es keinen Sinn macht, sie täglich zu schneiden. Wir scheren ihn wöchentlich, dann schnippeln ihm die Frauen meterlange Zotteln weg, die Strähnen, mit denen das Messer nicht fertig wird, reißen sie ihm aus dem Kopf, und der Wahrhaftige kreischt vor Schmerz.
    Gebt mir Geld! Gebt mir Geld!, winselte Habred auch jetzt.
    Ja, Gilagóg wurde von unzähligen Sorgen gequält, dennoch war er ruhig, so ruhig, dass sein Schatten manchmal zu Nichtswurde, und wenn er Wasser ließ, saugte die Erde es nicht ein; noch Stunden später spiegelte die Pfütze unter dem Strauch. Allmorgendlich leckte ihm Masa, sein Hund, das Gesicht sauber. Der Wahrhaftige regte ihn immer weniger auf, er achtete ihn nicht mehr. Von dem Tag an, als ihm klar wurde, dass er die Geschichte der Zigeuner selbst erzählen musste, gab es kaum mehr ein Ereignis, das seine Ruhe gestört hätte. In Wirklichkeit war er nicht mehr Woiwode, sondern König. Auch wenn das noch niemand wusste, die Zeit würde kommen, wo man ihm mit offenem Mund zuhören würde.
    Es war ein schwerwiegender, wenn auch nicht unerklärlicher Irrtum gewesen, von Habred die Welterzählung zu erwarten, denn wer ein Wahrhaftiger ist, der erzählt nicht. Ein »Wahrhaftiger«, der brüllt, flucht, betet, redet nicht einfach mit Worten. Ein »Wahrhaftiger« röchelt von der Welt, die sich hinter den Worten versteckt, wie hätte Habred da von ihren Wanderungen sprechen können oder davon, in was für einer Stadt sie jetzt lebten, unter was für Ungarn, Zigeunern und Juden ihr Leben verstrich?!
    Dazu brauchte es ihn, den Woiwoden Gilagóg!
    Er war nun imstande, die aus der Fratze des Wahrhaftigen hervorspritzenden Sätze voneinander zu unterscheiden. Wenn hundertmal »gebt mir Geld« ertönte, waren das hundert verschiedene Sätze, es war immer eine neue Erzählung! Gebt mir Geld, zischte Habred, gebt mir Geld, tobte er, ersteres bedeutete, verrecke, letzteres, ich liebe dich. Gebt mir Geld, ächzte Habred, und der Woiwode wusste, dass die Worte aus urzeitlichem Nebel, aus dem Leben von Menschen mit Tanzbeinen stammten, denn von allen Völkern der Erde waren sie am meisten unbehaust. Gebt mir Geld!, rief Habred, und aus seinem Mund brodelte Hass und Verachtung. Gebt mir Geld!, flüsterte er, und Gilagóg wurde starr, als hätte ihn ein weggeworfener Stein am Herzen getroffen.
    Das war die Stimme von Jesus, die Worte des Propheten! So gebeten hatte er, mit dem das Schicksal sie in der Wüste Ägyptens zusammengeführt hatte und der von ihnen verleugnet worden war. Die heilige Familie, Maria und Joseph waren auf der Flucht gewesen. Wochenlang irrten sie mit dem Säugling durch

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