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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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und Semperger, hochgewachsene oder gebeugte, dicke oder magere, rotbäckige und gemütliche Leute, rauchten Pfeife, tranken viel, waren je nach Anlass wortkarg und geschwätzig, und bei den Familienfesten tobten immer viele Kinder durchs Haus. Adam hielt sie für böse, weil sie sich bei jeder Gelegenheit gegen ihn verbündeten. Anfangs verstörte ihn die Gemeinheit ihrer Angriffe und Intrigen, doch sein Zorn verflog rasch, und wann immer er konnte, revanchierte er sich. Seine Methode war grausam, vielleicht sogar schön. Es befriedigte ihn, wie vortrefflich er Rache nahm.
    Er erledigte sie einzeln, zuerst den hinterhältigen kleinen Schäffer-Jungen, dessen Eltern aus den Budaer Bergen zu ihnenzu Besuch gekommen waren, dann rechnete er der Reihe nach mit den Frikker-Sprösslingen ab; Zeugen gab es nicht, die schweren Vorhänge verschluckten die Schmerzensschreie. Einem besonders bösartigen und arroganten Mädchen, Julia Frikker, die ihm »Weißer Schatten« nachrief und sich bei Familienfeiern mit grauenhaftem Geigenspiel hervortat, schnitt er den hüftlangen Zopf ab und warf ihn auf die Straße. Die Rache war vollkommen, als er in Pferdescheiße fiel. Das Mädchen vergaß vor Bestürzung den Mund zu schließen, und Adam bewunderte ihre blitzenden Zähne, sie schien schneeweißes Porzellan im Mund zu haben. Trotz des Drängens und Tobens ihrer Eltern war Julia Frikker nicht bereit, über den Verbleib des wundervollen Zopfs Auskunft zu geben. Dieser Mut überraschte Adam, vielleicht rührte er ihn auch, und sie musste noch öfter den Mund für ihn aufsperren, minutenlang betrachtete er die Porzellanzähne, die kleine rote Zunge und die Grotte des Rachens. Dem bebrillten Semperger-Jungen streute er Nägel in die Schuhe oder steckte ihm eine Maus in die Manteltasche, und diesen Tanz, dieses Gebrüll würde er nie vergessen. Doch die Erwachsenen taten, als sei nichts geschehen, nach der einen oder anderen gelangweilten Frage schickten sie ihn spielen, und Adam verstand, dass er die Kinder noch so sehr triezen konnte, wie zu Hause interessierten sich die Erwachsenen nicht im geringsten für ihn, als sei er tatsächlich nur ein Schatten! Bei den gemeinsamen Mahlzeiten nahm er sich als Letzter, und während der Ausflüge auf die Margareteninsel kümmerte sich niemand um ihn. Ihn zu verspotten wagten sie nicht, er hatte schon gezeigt, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war, außerdem war er größer als sie, und seine Stimme wurde bereits tiefer. Er saß unter einer Eiche und sah ihnen zu, die Mädchenkleider wehten wie entfesselte Flügel, die Jungen warfen mit Stöcken, komm, komm, schnell, schnell, schrien sie, alle lachten ausgelassen. Er stand auf und sah an sich herunter, wie viel Gras an seiner Kleidung klebte. Nach einer Weile betrachtete er das zwischen den Sträuchern hindurchschimmernde Blau der Donau und die auf der PesterSeite wimmelnden Kähne und Schiffe. Er mochte diesen Fluss nicht. Die Donau war ihm immer fremd gewesen, sein Fluss war die Theiß, dort, bei Szeged, hatte er sich mit einem anderen Geschmack, mit einem tieferen Duft und Aroma verbrüdert.
    Er erhielt Unterricht in Deutsch, Latein und Grammatik und dachte, dass es keine Regel oder grammatische Form gebe, die er sich nicht merken könnte. Beim Lernen schloss er die Augen und vergaß alles um sich herum. Sobald die Welt sich ihm aufdrängte, mit ihren Zahlen, Daten und Gesetzen, vergaß er sein Elend. Die Schwaben waren gut zu ihm, sie taten ihm nichts. Sie liebten ihn nicht, bemerkten ihn nicht einmal, aber natürlich nicht, weil sie Schwaben waren, sondern weil man ihn, so wie er war, offenbar gar nicht lieben konnte. Manchmal kam ihm der Gedanke, dass er wie Glas war, durch das man einfach hindurchsah, und dann weinte er, doch mit der Zeit konnte er auch darüber nur lächeln.
    Im Frühling des Jahres 1838, in der kopflosen Hast, die das große Hochwasser auslöste, wurde er vergessen. Die Welt krachte in allen Fugen, überall Gebrüll und Geschrei, und aus dem Deutschenhaus, in dem die Familie Frikker wohnte, wurde ein schwerkranker Onkel im Lehnstuhl durch das Fenster geborgen. Unverwandt sah Adam zu, wie sie mitten im schwimmenden Gerümpel davonpaddelten. Er sah eine kleine Katze ertrinken und fand es schön. Die Leiche eines Dienstmädchens wurde gegen die Hauswand getrieben, sie drehte sich herum, winkte ihm und schwamm würdevoll weiter. Der Abend brach herein, aus allen Richtungen Rufe, fackelerhellte Boote waren unterwegs, und er

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