Blumenfresser
verkamisolten ihn. Dabei ließen sie die Umgebung nicht aus den Augen, die sich feindselig vor ihnen ausdehnte. Am Vormittag lichtete sich der Nebel und verschlang wenig später den kurzen Nachmittag. Wenn es dunkelte, prasselten Steine auf die Scheunen und Landhäuser, wo sie sich einquartiert hatten. Sie hörten keine Rufe und konnten niemanden festnehmen. Morgens entdeckten sie Fußspuren in der feuchten Erde, fanden Katzenkadaver, Schweineköpfe und geschändete Husarenjacken im Hof, und einmal erwartete sie im Eingangstor hängend eine Strohpuppe, darunter lag eineNationalflagge, mit Exkrementen beschmiert. Ausgeplünderte Flüchtlinge sahen sie viele. Die Heimatlosen schleppten sich mit starren Mienen, ohne den Gruß zu erwidern, an ihnen vorbei. Entlang der Straße tauchten frische Erdhügel auf, weil keine Zeit für ein ordentliches Begräbnis geblieben war, und an einem verregneten Nachmittag stießen sie unter einem Hagebuttenstrauch auf einen verstümmelten Toten, der ebensogut Serbe wie Ungar hätte sein können, seine Kleidung war zerfetzt, Tiere hatten ihn angefressen, der Kopf lag ein Stück vom Rumpf entfernt.
Die emporgereckten nassen Äste kahler Bäume, die kalt glitzernden Hänge, die bebenden Sträucher, ein Ziehbrunnen, der sich einen Steinwurf entfernt krümmte, jedes Detail der Landschaft schien der Bote einer feindlichen Welt zu sein. Zwischen die Dinge hatte sich der Tod gestohlen, und sie wussten, er wartete nur auf die Gelegenheit, über sie herzufallen. Ein Haus war kein Haus mehr, auch der Wald kein Wald und der Himmel kein Himmel, hinter allem spähte der billige, hinterhältige Tod hervor. Davon war nicht die Rede gewesen, als sie sich im Überschwang der Revolution zum Kampf gemeldet hatten. Sie wollten Helden und Patrioten sein, hatten offene und klare Kämpfe erwartet, in denen Körper wie Seelen sich unter gleichen Bedingungen miteinander maßen, und wer stärker, edler und glücklicher war, der siegte, mit Gott an seiner Seite. Für die Heimat, für die Freiheit hatten sie zu den Waffen gegriffen, doch ihr Sendungsbewusstsein löste sich rasch auf. Sie kämpften in ihrem Vaterland für ihr Vaterland, doch die Erde, auf der sie diesen Kampf auszutragen hatten, verriet sie, begann sich unter ihnen zu öffnen. Wenn sie unmännliche Furcht zeigten, mussten sie sich selbst verabscheuen, deswegen wurden sie immer zügelloser, nach Sonnenuntergang tranken sie, legten sich miteinander an und schossen in die Dunkelheit. Adam spürte, dass auch Kigl Angst hatte. Er trug einen Bart, sein Gesicht war ausgezehrt und faltig geworden, greisenhaft, doch er hatte Angst. Er war nicht feige, doch er wollte nicht hassen, lieber wollte er Angst haben.
Ich habe keine Angst, sagte Kigl und warf einen Blick auf Adam.
Schon gut, ist ja gut, brummte der.
Mein Vater hat gesagt, ich tauge zu nichts, Kigl wühlte gereizt in seinem Bart. Seine Gesichtshaare waren so lang, dass er sie oft in den Mund nahm und daran kaute. Er wirft mir vor, dass ich ihm Schande mache, dass ich ein überflüssiges Leben führe. Verstehst du das? Dass ich ein überflüssiges Leben führe?!
Den Bart lässt du dir seit eurem Streit wachsen?
Ich werde ihn nicht abnehmen, bevor etwas geschieht.
Was soll denn geschehen?
Kigl senkte den Kopf.
Ich weiß nicht, murmelte er, etwas Wichtiges. Es wäre gut, wenn wir den Tod auslachen könnten.
Einerseits geschieht immer etwas Wichtiges, andererseits ist es der Tod, der über uns lacht.
Weil die Lage immer kritischer wurde, schickte die Regierung ihren Beauftragten Gábor Egressy nach Südungarn. Der Regierungskommissär war vor einigen Jahren noch ein gefeierter Schauspieler gewesen, Liebling von Kritikern und Damen; der Krieg war für ihn nichts anderes als ein Bühnenwerk mit vielen Darstellern, in dem er selbstverständlich den tragischen Haupthelden geben durfte. Theatralisch teilte er Befehle aus, blindwütig begeisterte und bedrohte er die niedergeschlagenen Nationalgardisten. Nach einer dieser Tiraden, die auch Napoleon alle Ehre gemacht hätte, begann Adam in nächster Nähe zu lachen.
Es wurde still, nur das asthmatische Keuchen eines Kameraden war zu hören.
Der Regierungskommissär erbleichte.
Machen Sie sich über mich lustig, Nationalgardist?!
Adam trat vor, nickte, ja, ich habe gelacht, Herr Kommandant.
Der Regierungskommissär geriet in Verlegenheit. Auf diesem weißen Gesicht konnte er nicht eine Spur von Angst entdecken.
Sagen Sie, worüber haben Sie
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