Blumenfresser
Familie deines Freundes Salamon, antwortete Doktor Schütz.
Sie war die ganze Nacht hier, keuchte Adam.
Ich weiß nicht, von wem du redest, und will es auch gar nicht wissen. Doch eins kann ich dir sagen, ich habe dein Porträt gesehen, Adam Pallagi, sagte der Arzt und packte Tinkturen und Pulver aus.
Adam versuchte zu lächeln, das würde mich überraschen, Herr Doktor.
Ob es Sie überrascht oder nicht, junger Freund, dein Porträt hing im Zimmer eines Mädchens. Eine unprofessionelle Bleistiftzeichnung, aber erkennbar.
Von was für einem Mädchen reden Sie?! Adam wollte sich aufrichten, fiel aber wieder nach hinten.
Von einer unglücklichen Schauspielerin, brummte der Doktor und bleckte die Zähne.
Ach so, Adam musste husten.
Sie ist gestorben, sagte der Doktor, während er sein Binokel abwischte. Er stand auf, als hätte er etwas zu erledigen, ließ sich aber gleich wieder auf dem Stuhl nieder. Sie ist gestorben, wiederholte er. Damals sind viele gestorben, das habe ich ja schon erzählt. Im Herbst, zur Zeit der Cholera, hat der Tod reiche Ernte gehalten.
Adam schwieg, er betrachtete die leberfleckigen, zittrigen Hände, Herr Schütz hatte unwahrscheinlich lange Finger. Eher Krallen als Finger, so schien es.
Adam wisse vielleicht, begann Doktor Schütz mit monotoner Stimme, dass die Cholera zuletzt 1831 im Land gewütet habe. Tausende starben, sie wurden ins Massengrab gestoßen. Doktor Leo, ein jüdischer Arzt aus Warschau, kam zu der Erkenntnis, dass man Wismut ins Brunnenwasser streuen müsse, weil mit dieser Maßnahme der Epidemie vorgebeugt werden könne. Gerade damit aber streuten die Behörden die Glut des Argwohns aus. Im nördlichen Teil des Landes rebellierten die Bauern, und diesen Aufstand zu bändigen verlangte einen mindestens ebenso hohen Preis wie die Krankheit. Der Infizierte hat gleichermaßen mit peinigenden Magenschmerzen, Durchfall und Erbrechen zu kämpfen. Krämpfe packen die Gliedmaßen, als wollten sie sichaus dem Rumpf reißen. Die Augenhöhlen vertiefen sich, das Gesicht wird schmal, Lippen und Nägel werden blau wie die Blüten der Kornblume. Der Kranke leidet, und eines Morgens rührt er sich nicht mehr.
Dem Alten rannen die Tränen herunter.
Im Herbst des vergangenen Jahres hatte die Cholera Szeged erreicht. Ende Oktober wurden immer mehr Kranke registriert, das Ansehen der Totengräber stieg enorm. Als stellvertretender Vorsitzender der medizinischen Kommission der Stadt lief Gustav Schütz seit Tagen die für gefährlich erklärten Gebiete, die unter Quarantäne gestellten Straßen ab. Innerhalb weniger Tage stellte er in mehreren Dutzend Fällen persönlich den Tod durch Cholera fest. An jenem Tag war es der achte Fall. Ein kalter Sprühregen ging nieder, der graue Himmel reichte bis zur Erde. Die Nachbarn hatten gemeldet, dass sie das Mädchen, eine kleine Schauspielerin, seit Tagen nicht gesehen hätten, doch die Tür gewaltsam zu öffnen wagten sie nicht. Der Doktor drang mit Hilfe einer großen Zange in die Wohnung ein. Die Klinke gab schnell nach, die Tür ging mit einem leisen Seufzen auf. Die Unglückliche war wohl schon von den ersten Anfällen hinweggerafft worden. Ihr junger Körper zeugte von vielen Entbehrungen. An den Wänden sah der Doktor Zeichnungen, einige waren nur Skizzen, andere besser ausgearbeitet, doch alle bildeten Männer ab. Viele Gesichter erkannte er, viele ihrer Besitzer hatte er von allen möglichen Leiden geheilt, Blutdruck, Gicht, Hautkrankheiten, Bauchschmerzen, Geschlechtskrankheiten. Die Augen des Mädchens waren offen. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, ihre Fingernägel waren blau, auch ihr Mund. Ihn, sagte der Doktor, ergreife immer der Zorn, wenn er die Armen und Verachteten zugrunde gehen sehe. Dieses Mädchen sei von niemandem gewollt worden, niemand habe ihre Freude, ihre Traurigkeit brauchen können.
Hatte sie denn irgendwen, mit dem sie sprechen und dem sie ihr Leid klagen konnte?!
In dem Zimmer gab es kaum Möbel. Ein kleiner Ofen in derEcke, nicht weit davon ein Tischchen, ein Stuhl mit geborstener Lehne und eine Holzkiste, deren Deckel offen stand. Darin bewahrte sie ihre Habseligkeiten auf. Sie lebte allein. In einer schäbigen Waschschüssel stand dunkles, schmutziges Wasser, Spuren von Erbrochenem färbten den Boden.
Und da, hob Herr Schütz seine Stimme, habe er, Gustav Schütz, zu reden begonnen!
Was hat sie gegen dich verbrochen, dass du sie so hast zugrunde gehen lassen?!
Wäre die Unglückliche auf der
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