Blumenfresser
Einen von ihnen mussten sie festhalten, er hatte einen Anfall, spuckte Schaum und wollte sich ins Feuer legen. Er brüllte so lange, bis sie ihn niederschlugen. Der Morgen dämmerte, und wieder Gebrüll. Los, los! Bewegung! Eilig zogen sie weiter, fast im Laufschritt stapften sie durch den Lehm. Aus den Minuten wurden Stunden, und die Stunden wandelten sich zu Minuten. Sie gingen zur Schlachtordnung über, ein Kommando jagte das andere. Adam begriff langsam, dass sie sich erneut im Rachen des Todes, mitten in einem Krieg befanden.
Die Rekruten der Nationalgarde von Szeged griffen in vorderster Front an. Adam hielt von der Anhöhe Ausschau, wo sie, die für ernsthafte Aufgaben nicht geeigneten Soldaten der Reservetruppe, warteten. Er hatte den Eindruck, die Seiten eines bunten Bilderbuchs zu betrachten. Die Mehrzahl der Nationalgardisten trug zufällig zusammengewürfelte Kleidung, Bauern- oder Tuchhosen, handgewebte Decken mit Fransen und einem Loch in der Mitte, doch auch die Serben sahen nicht viel anders aus. Manche Nationalgardisten hatten nicht einmal eine richtige Waffe bekommen, sie rannten mit geradegebogenen Sensen durch den Rauch. Die ungarischen Kanonen begannen zu donnern, und die unerfahrenen Nationalgardisten, nicht wissend, dass die Kugeln über ihre Köpfe hinwegflogen, stürzten in Panik auf die feindlichen Schanzen zu und überschritten dabei die Grenze, die laut Befehl von einer ausladenden Weide mit schwarzem Stamm markiert war. Die Nationalgardisten fürchteten die Schüsse der eigenen Leute mehr als die Kugeln der Serben. Dann wurden sie auch von feindlicher Seite mit Schüssen empfangen, von wildem Kartätschen- und Gewehrfeuer, und nun blieb keine Wahl mehr, nur die Flucht nach vorne, hinein in den blutigen Nahkampf. Dieser Laut, wenn Eisen in Fleisch eindrang, das Röcheln, das Wehgeschrei! Und wie meistens war plötzlich alles zu Ende. Durch den Vorhang des verfliegenden Rauchs sahen sie die verstreuten Flecken der fliehenden Serben.Ein kleinerer Trupp ungarischer Soldaten hatte die nächstgelegene Schanze besetzt, die jungen Männer brüllten durcheinander. Auch Adam und seine Kameraden waren vorgestürmt, sie mussten über Tote springen. Er erreichte die Schanze, Schweiß brannte in seinen Augen, er stolperte. Ein nackter Serbe lag im Morast, unter dem Arm eine Tasche, aus der Papier gefallen war. Adam bückte sich und hob ein Blatt auf. Der Mann hatte auf seinen letzten Weg Gedichte mitgenommen. Ein dunkler Tropfen fiel auf das mit seltsamer Schrift bekritzelte Papier.
Jetzt erst bemerkte Adam, dass er selbst blutete.
Ein Splitter hatte ihn am Hals getroffen.
Unzählige Verletzungen hatte er schon erlitten, an Armen, im Gesicht, am Brustkorb. Es gab keinen Teil seines Körpers, der nicht schon von irgendwelchen Blessuren gezeichnet gewesen wäre, sie hatten einen Roman auf seine weiße Haut geschrieben. Was ihn nicht besonders kümmerte.
Ein Trompetensignal rief zum Appell. Lächelnd winkte er einem jungen Bekannten, am Abend würde er mitkommen ins Dorf. In der Schanze wurde Feuer gemacht, die Glücklicheren durften plündern gehen, Adam schloss sich an. In dem ausgestorbenen Dorf fanden sie kaum etwas, die Häuser waren leer, überall Spuren eines überhasteten Aufbruchs, hier war Brot in den Morast getrampelt worden, dort floss noch Honig aus einem umgestürzten Tiegel. In einem Hof tobte ein kleiner Hund an seiner Kette. Beim dritten Versuch gelang es, ihn zu treffen, der Schuss fuhr ihm ins Hinterteil, er warf sich so hoch in die Luft, dass ihn die Kette zurück zur Erde riss. An Schnüren hängende Tabaksblätter, ranziges Fett, Kleidungsstücke, das war ihre Beute. Am Abend rösteten sie Brot, brieten Speck, erneut tranken sie, im Morgengrauen zogen sie mit Kopfschmerz und brennendem Magen weiter. Am Nachmittag des nächsten Tages tauchten Marketenderinnen auf, sie verkauften Wein und trockene Striezel und machten kichernd Angebote. Sie waren dick und struppig, aber immerhin Frauen. Einige Soldaten hatten sich schnell mit ihnen geeinigt, sie gingen gleich hinter die Wagen.
Innerhalb weniger Tage rückten sie bis Törökkanizsa vor, und am Ortsrand stießen sie neben der Straße auf ein Haus, in dem Unmengen von angebrannten Schriftstücken und deutsch geschriebenen Briefen verstreut waren. Der Kneipenwirt, ein großgewachsener Mann mit hängendem Schnurrbart, hockte im hintersten Zimmer, auf Knien flehte er um sein Leben. Sie taten ihm nichts, folterten ihn nur so lange, bis
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