Blumenfresser
Tränen aus wie ein gekränktes Kind. Was in der Welt geschah, all die guten oder furchterregenden Dinge interessierten ihn nicht mehr, er gab sich nur noch seinem Kummer hin.
Die eigenen Glaubensbrüder hatten Armin Mózes zur Sünde verführt.
Nachdem Kossuth abgereist war, plünderte und mordete der Pöbel. Serben, Juden wurden ebenso niedergemetzelt wie Ungarn. Reiche, wohlhabende Bürger, Heimatlose, die eine fremde Sprache sprachen, Beamte wurden getötet. Ihn, Armin Mózes, hatten seine Brüder in den Pfuhl der Sünde gelockt, so groß war ihre Angst nach dem Pogrom. Nun gut, wer war damals nicht in Sorge?! Auch er sperrte die Haustür nach der blutigen Nacht so sorgfältig ab wie niemals zuvor, und wochenlang hielt immer irgendein Familienmitglied Wache. Wer glaubte, dass die Sensen, Hacken und Messer nicht mehr zum Vorschein kommen würden?! Aber diese Sünde! Diese Abscheulichkeit, zu der ihn seine Brüder, die Juden zwangen! Sie brachten ihn dazu, einen offiziellen Brief an die revolutionäre Führung der Stadt zu schreiben, damit sie den Schutz der Glaubensgemeinschaft gewährleiste. Obwohl die Übergriffe der Revolution auch die Juden trafen, in Pest ebenso wie in Somogy und den westlichen Komitaten, in Neutra wie in Szeged, meldeten sich zahllose junge Juden zur Revolutionsarmee. Man hätte leicht einen Grund finden können, warum auch die Juden von Szeged einen entsprechenden Schutz genießen sollten. Allein, das interessierte den alten Armin nicht im Geringsten. Das heißt, es interessierte ihn, nur nicht an jenem Tag. Es war Samstag, früher Vormittag, seine Verwandten, Freunde und einige einflussreiche Mitglieder der Gemeinde fanden sich bei ihm ein, machten den Boden schmutzig, lärmten herum und hielten das Haus buchstäblich besetzt. Einander ins Wort fallend lamentierten sie.
Sind die Schuldigen am schrecklichen Tod der Herren Kaufleute Mordecháj, Grün und Reich endlich ausfindig gemacht worden?! Der schmächtige Herr Reich, der keiner Fliege etwas zuleide getan hat, ist vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder erschlagen worden! Wurden die Mörder bestraft?!Nein, mitnichten wurden sie bestraft! Die Räuber, die Plünderer, die Schänder des Bethauses, die frische Pferdekacke auf die Schwelle geschüttet haben, hat man sie ermittelt?! Ist mit irgendeinem Schadensersatz zu rechnen?! Auch gestern sind jüdische Häuser wieder mit Erdklumpen beworfen worden!
Kann man in Furcht leben?!
Man kann, nur lohnt es sich nicht, hatte der Rabbi von Makó vor einigen Jahren gesagt und sich vor dem Zigeuner verneigt, der als Räuber in sein Haus eingedrungen war. Er gab ihm eine solche Ohrfeige, dass er auf den Hof hinaustaumelte und sich in den Staub setzte. Das erzählte der Knopfhändler Derera, den schon einmal der Teufel geholt hatte. Daraufhin wurden dem Rabbi natürlich sämtliche Glieder gebrochen, man steckte ihm eine Hahnenfeder in den Mund, damit er am eigenen Erbrochenen ersticke. Der Rabbi von Makó erstickte nicht, denn seine Brüder retteten ihn, doch die von ihm anempfohlene Auffassung von Mut machten sie sich nicht zu eigen. Stattdessen gaben sie fortan jedem Räuber, der bei ihnen auftauchte, schön brav alles, was sie hatten.
Mit wachsender Verzweiflung betrachtete Armin Mózes die Menschen, die sich bei ihm versammelten. Wenn kein einziges Gesetz sie schützte, was konnte man dann tun?! Reb Mózes beharrte, am Sabbat dürfe man so etwas nicht, am Sabbat sei es verboten, durch Schreiben zu freveln, wie stellten die Herren sich das vor, dass er oder irgendwer sonst zur Feder greifen solle? Doch die Besucher setzten ihr Jammergeschrei fort, sie fuhren sich in die Bärte und rissen an ihren Kleidern, bis Ignác Derera, dessen Vorfahren aus Spanien eingewandert waren, sich dazu verstieg, eine eitrige, von einem gewaltigen Hieb verursachte Wunde auf seinem Rücken zu zeigen, dann entblößte er seine Wade, die vom Schuss der blindwütigen jungen Männer getroffen worden war, schließlich hielt er Salamons Vater seine Hand unter die Nase, ins Haus eingedrungene Plünderer hatten sie ihm versengt.
Der alte Mózes erinnerte sich, dass an einem Samstag im vergangenen Jahr, als eine fürchterlicher Hitze die Menschen schon bei Sonnenaufgang zu peinigen begann, ein nicht endendes Gebrüll aus Ignác Dereras Haus zu hören war.
Der Knopfhändler Derera war ein merkwürdiger Mensch, einmal verschwand er am Versöhnungstag, der Teufel hatte ihn mitgenommen. Trotzdem kam er wieder zum
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