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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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unangenehm noch angenehm, nur vertraut, er sah noch, dass die Blüte zu seinem Mund flog.
    Du kannst zu mir zurückkehren, Gott.
    Der Ungeschlachte blinzelte, wahrscheinlich brannte der Schweiß in seinen Augen. Andere schrien ihm etwas zu, er drehte sich um und starrte auf die Spitze des Bajonetts, er heulte, heulte ohne Unterlass. Auf der Bajonettspitze steckte ein fingergroßer, nie gewesener Mensch, eine kleine Erbärmlichkeit, ein nie geborener Embryo.

Der neue Grasmusikant
    Gut, in Ordnung, dann würde von jetzt an eben er eine Weile in dieser Gegend musizieren. Vielleicht würde seine Mission zehn Jahre dauern, vielleicht hundert oder sogar fünfhundert. Er hatte einen Auftrag, alles andere war nebensächlich. Er würde musizieren. Es gab Gras, das gab es immer, es gab Blätter, Wurzeln, Rinde, auch mit der Erde konnte man musizieren, auch mit dem Licht. Hier wälzte sich das Wasser oder plätscherte nur, egal, hier schlängelte sich die Theiß! Auch sie, der Fluss, musizierte!
    Er war noch nicht geübt genug, er wusste noch nicht, wie man sich in einem Wort, einem Klageruf oder in einem Märchen einnistet, auf der Haut, im Schoß, in den Gedanken einen Schauer erzeugt. Nero hatte ihm allerdings dies und das beigebracht, ihm unterirdische Wasserläufe und unter der Erde vor sich hinsummende Schädel gezeigt, Staubwirbel, die über salziger Erde tanzten, so schön wie kein Mensch tanzen konnte.
    In einige Dinge hatte Nero ihn eingeweiht, doch die Natur von Wind und Erde, die Verwandlungen von Regen und Licht musste er selbst erfahren, wie er auch langsam die Musik der aus dem Süden heranrollenden Steppenhexen lernte und dass Spitzel und Grasmusikanten sich häufig in diesem dahintreibendenGestrüpp vor herrischen Grenzsoldaten verstecken. Er musste die Geheimnisse von Schlafzimmern und Verschwörungen und die Abscheulichkeiten und Wunder des menschlichen Körpers erkunden.
    Er musste lernen, dass Legenden immer auf Beistand und Fürsorge angewiesen sind, für sich allein taugen sie nur so viel wie Regenwasser, das nicht zur Erde fällt. Legenden sind Kinder, weil sie töten. Legenden sind klein und schwach, Legenden gebären.
    Allmählich erlernte er sein neues Metier. Allmählich gewöhnte er sich an dieses andere Leben, allmählich nistete er sich in die Träume und Sehnsüchte derjenigen ein, die ihm in seiner Umgebung am wichtigsten waren. Sein weißes Gesicht unterschied sich nicht mehr von strahlendem Sonnenlicht oder von der Bleichheit des Winters, die den Vormittag dem Nachmittag so ähnlich macht. Immer noch zählte man erst den Herbst 1849, und der Wind war, wenn schon nicht sein Freund, so doch nicht mehr sein Feind. Er wusste nicht mehr, was Einsamkeit, Ausgestoßensein oder Unsichtbarkeit war. Für ihn war der Mond bleich, für ihn funkelten die Sterne, ihm kühlte der Windhauch den Nacken, und jetzt machte er bereits, wann immer er Lust dazu hatte, mit dem Grashalm im Mund Musik. Er war nicht mehr einsam. Er war selbst die Einsamkeit, die wie ein gewaltiger Atemzug über das Land hinwegströmte, eine Einsamkeit, die niemand je gesehen hatte und doch jeder fühlte, wenn er an sein Leben dachte.

Nero Kosztas Heirat
    An jenem Morgen Anfang September 1849, als die schwerkranke Somnakaj in Imre Schöns Haus gebracht wurde, erwachte Nero, der abtretende Grasmusikant, weil ihn jemand am Kinn kitzelte, am Schnurrbart zog und sogar in seiner Nase bohrte. Grunzend riss er den Kopf hoch, dann blinzelte er Wurm wütend an, derihn von so nah angrinste, dass er ihm ins Gesicht hätte beißen können. Nero Koszta, der bis dahin mit verschränkten Armen an einer Erle lehnend geschlummert und auf seinem Schnurrbart Fliegen gesammelt hatte, schob Wurm unwillig zur Seite, doch dieser rückte gleich wieder heran und wieherte von neuem los.
    Amüsierst du dich über mich, Hohlkopf?!
    Nero hatte keine Zeit, sich weiter zu ärgern, mit weichen Hüftschwüngen näherte sich Wurzelmama. Auch jetzt war sie liebreizend und achtunggebietend, doch der Grasmusikant sah sofort, dass sie nicht allein gekommen war. Eine magere Frauensperson stolperte hinter ihr her und versuchte Schritt zu halten, ständig blieb sie an einem Grasbüschel, einem Maulwurfshügel, einer Wurzel hängen. In Neros Brustkorb begann es heftig zu pochen, er kannte das Mädchen gut, er wusste, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hatte, dass sie verrückt war, völlig verrückt. Nero kannte sie nicht nur, wusste nicht nur, wer sie war und seit wann

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