Blumenfresser
tanzten.
Es lag keinerlei Absicht darin, dass Nero Koszta ausgerechnet in dem Moment heiratete, als der Freiheitskampf der Ungarn scheiterte. Was soll man mit dergleichen Parallelen anfangen? Dass ein verrückter Grasmusikant und eine verrückte Frau zwischen den Sträuchern der Hexeninsel vom bitteren Fleisch des andern kosten und sich ein Brennnesselbett bauen, während zur gleichen Zeit Unglückliche sich auf den Galgen, auf Gewehrsalven oder auf die ewige Verbannung im Kerker gefasst machen?! Es gehört auch nicht viel Weisheit dazu, um einzusehen, dass wenn die Ungarn verrückt sind, es die Serben gleichfalls sein müssen. Und es ist überflüssig zu diskutieren, wer verrückter ist, denn wenn der Serbe verrückter ist, dann ist es der Ungar. Und wenn der Ungar verrückter ist, dann ist es der Serbe. So, wie die Verrücktheit auf der Leiter der Zeit hinauf- und hinunterläuft, kann das Herz des Menschen leicht brechen, wenn er sich die Gründe und Warums zu lange durch den Kopf gehen lässt. Der Serbe ist sehr verrückt, weil er immer um das trauert, was er verliert. Der Ungar ist sehr verrückt, weil er sich auch über das, was er gewinnt, nicht freuen kann.
Und wenn Nero Koszta auch oft bramarbasierte, wenn er die unmöglichsten Behauptungen aufstellte, die anderen dieRöte ins Gesicht getrieben hätten, wenn er sich mit Heldentaten brüstete, mit denen ihn nicht mehr verband, als dass er sich ihre Geschichte im Laufe seiner zeitlosen Wanderung in staubigen, ausgedörrten Dörfern oder in neben der Straße verfallenden Gasthäusern geliehen hatte, so hatte er doch einige Wahrheit auf seiner Seite.
Ja sicher, die Verrücktheit, die Verrücktheit!
Wer könnte leugnen, dass Nero der Held war, der 1806 auf dem Schlachtfeld von Mišar eine mörderische osmanische Wolke niedergerungen hat! Nero Koszta kämpfte 1809 auf der blutgetränkten Schanze von Čegar! Und dann, als der Pascha von Niš aus den Köpfen serbischer Aufständischer den wunderbaren Schädelturm errichtet hatte, der, weil Wind und Sonne die Knochen ausbleichten, so blendend weiß war, als bestünde er aus Carrara-Marmor, hörte und lernte Nero Koszta die Musik, die der sich in die Schädel verirrende, durch die Augenhöhlen hinausfächelnde und durch den Zaun der Zähne erneut hineinhuschende Wind ihm ein Jahr, dreißig Jahre hindurch spielte und summte! Sozusagen als Begleitung dieser haarsträubend schönen Musik säuselten die Haarbüschel auf den Schädeln.
Auch dass Nero Koszta, der Grasmusikant mit der windigen Pelzjacke, ein hervorragender Liebhaber war, stand außer Frage. Den Hof machen konnte er nicht, er verstand nichts davon, Worte zu schmücken, doch wenn er die Frau umarmte, enttäuschte er nicht. In Kosovo Polje wusste man das seit fünfhundert Jahren, man wusste es im geschändeten Belgrad, als das Zuhr erklang, weil bereits die Türken die Stadt beherrschten, und man wusste es in Niš und auch in Kragujevac, wo die zwei Meter große Panka Szevics, die tugendhafte Tochter eines Färbers, die ihre Unschuld Jesus geweiht hatte, Nero in einem schwachen Moment zwischen ihre Schenkel ließ. Auf der einen Hand des Mädchens krächzte ein entflogener türkischer Papagei, so lange, bis ihr Atem brennend heiß wurde. Währenddessen kitzelte Nero ihren Tulpenschoß mit einem winzigen Grashalm, bis ihr der dornengekrönte Jesus erschien und weinend flehte,sie solle den entsetzlichen Liebesakt beenden. Panka Szevics ließ die Ferkelei sein und begann sich die Haare raufend und das Gesicht blutig kratzend zu beten, und dann redete sie ihr ganzes Leben nicht mehr, denn wozu reden, wenn man nur bitten kann. Sie sagte auch dann nichts, als sie neun Monate später Zwillinge gebar, ein weißes Kind und ein schwarzes.
Das weiße Kind war verrückt, weil es weiß war und weil ein richtiger serbischer Patriot aus ihm wurde.
Das schwarze Kind war verrückt, weil es schwarz war, und eines Tages machte es sich auf den Weg nach Ungarn und ging verloren, es wurde Ungar, ein Verrückter wurde zum Verrückten.
Doch im Schlaf krächzten alle beide mit Papageienstimme.
In der Gegend, wo Nero Koszta seine Frau fand, mangelte es ebenfalls nicht an herzerweichenden Legenden, blau schimmernden Geschichten und Märchen, bei denen man nicht wusste, ob man weinen oder lachen sollte. Jedoch war jetzt auch das nicht wichtig in diesen geschändeten Tagen. Auch der weißgesichtige Bursche war tot, und er, Nero Koszta, hatte seinen Nachfolger in ihm gefunden. So
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